Unter dem Eis
Königsforst.«
Also wieder mal warten, denkt Manni. Es gibt zu viel Warterei, zu viele Wenns in diesem Fall. »Wir müssen auf jeden Fall so schnell wie möglich klären, wem der Koffer gehört«, sagt er laut. Das und tausend andere Dinge. Zum Beispiel, wie der Dackel nach Frimmersdorf kam. Woran er gestorben ist. Ob die Spurensicherer wider Erwarten doch noch etwas Brauchbares am Rastplatz Königsforst gefunden haben. Sie müssen endlich jemanden finden, der den Waldspaziergang von Jonnys Stiefvater bezeugen oder widerlegen kann. Und dann muss Manni noch mal mit Rothautboss Petermann sprechen. Das letzte Mal hat der gesagt, er sei gerade aus Holland gekommen. Frimmersdorf liegt von Köln aus gesehen Richtung Holland.
»Carmen«, sagt Klaus Munzinger.
»Carmen?«
»Das steht im Deckelrand, ganz versteckt, halb verblasst, in krakeligen Kinderbuchstaben. Der Koffer selbst war übrigens ein großer Verkaufsschlager in den 6 oer Jahren.«
Thalbach greift nach seinen Unterlagen. »Danke, Klaus. Eine Carmen, die in den 6 oer Jahren Kind war. Die sollte sich doch finden lassen. Ich werde das sofort an die Presse geben.«
Old Marthas Cottage ist verschlossen und verlassen, sowohl auf Atkinsons als auch auf Davids Handy meldet sich nur die Mobilbox – frustriert lenkt Judith den Mietwagen zurück nach Cozy Harbour. Es bleibt ihr vorerst nichts anderes übrig, als auf Davids Rückkehr zu warten. Um sich die Zeit zu vertreiben, telefoniert sie sich durch die Liste der Naturpark-Verwaltungen, die Atkinson ihr gestern gegeben hat. Vielleicht hat er ja Recht und Charlotte will tatsächlich promovieren, auch wenn Berthold dies bestreitet. Doch falls es so ist, recherchiert Charlotte außerhalb eines kanadischen Naturschutzgebiets.Keine der Parkdirektionen weiß etwas von einer deutschen Wissenschaftlerin, die sich für Eistaucher interessiert.
Gegen 13 Uhr verschließt Judith das blaue Holzhaus, legt den Schlüssel unter die Fußmatte und schlendert am Hafen entlang zum Restaurant, in dem noch immer der tonlose Fernseher läuft und die Männer auf den Barhockern so aussehen, als hätten sie sich seit gestern nicht bewegt. Judith bestellt das Tagesmenü, Cheeseburger und Caesars Salad sowie ein Mineralwasser und tritt mit dem Glas in der Hand auf die Terrasse. Die Luft ist klar, nicht so schwül wie in Köln, die Mittagshitze angenehm. Judith legt die Füße auf eine Holzbank und raucht. Das immense Schlafdefizit und die Sonne machen sie träge, auch wenn ihre Unruhe bleibt. Sie spürt, dass sie Charlottes Geheimnis näher kommt, und auf eine Art, die sie noch immer nicht verstehen kann, fühlt sich das an, als würde sie durch diese Suche noch etwas anderes finden. Etwas das mit ihr selbst zusammenhängt, etwas, das sie vor langer Zeit verloren hat, ohne es auch nur zu bemerken. Sie hört das Wasserflugzeug, kurz bevor sie es sieht, es dreht eine Schleife, sinkt tiefer und pflügt silbern durchs Wasser, um dann mit gedrosseltem Motor auf den Holzanleger zuzusteuern. Kurze Zeit später steht David vor ihr.
»Du bist noch da.«
»Ja.« Sie drückt ihre Zigarette aus.
»Das hatte ich gehofft.«
»Ja.«
»Sicher war ich nicht.«
»Ja, das heißt nein, ich auch nicht, meine ich.«
Herrgott, was für ein schwachsinniger Dialog. Ja, nein, ja, wie ein verliebter Teenager führt sie sich auf. Aber genau so fühlt sie sich. Will diesen Fremden umarmen, sich mit ihm verlieren, und zugleich will sie cool bleiben, ihn befragen, die Kontrolle behalten, Margerys Warnung beherzigen. Ganz vorsichtig nimmt er ihre Hand und wieder strömt diese seltsame Kraft.
»Ich muss was essen, was ist mit dir, hast du Hunger?«
»Ich habe gerade das Tagesmenü bestellt.« Noch so ein banaler Satz. Es ist nicht sein Körper, nicht nur sein Körper,nicht nur seine Hand. Es sind seine Augen. Augen, die lächeln und doch nicht verbergen können, dass sie die Schatten kennen. Er löst sich von ihr, bestellt drinnen am Tresen sein Essen, kommt zurück. Sie sind die einzigen Gäste hier draußen, setzen sich an einen der Picknicktische. Wieder greift David nach ihrer Hand, doch diesmal zieht sie sie weg.
»Charlotte Simonis«, sagt sie und bildet sich ein, dass die Schatten in seinen Augen dunkler werden.
»Charlotte Simonis.« David blickt aufs Wasser.
»Eine alte Schulkameradin von mir. In Deutschland gilt sie als vermisst, deshalb bin ich hier. Ich mache mir Sorgen um sie. Ich will sie finden.«
»Loons, da!« Er deutet auf zwei schwarze
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