Unter dem Georgskreuz
martialischen Umgebung und unseres Lebens an Bord, fühle ich mich den Artigkeiten und Traditionen eines Lebens als Marineoffizier nicht sehr verbunden.«
Bolitho lächelte. Yovell änderte sich nie.
»Ich hoffe, Sie bleiben so!«
Yovell runzelte die Stirn und polierte seine goldgefaßte Brille, was er oft tat, wenn über etwas nachdachte.
»Mr. Avery ist Ihr Flaggleutnant – er steht zwischen Ihnen und dem Kapitän und dient beiden.« Er hauchte wieder auf seine Gläser. »Er ist beiden gegenüber loyal. Er würde nie hinter dem Rücken des Kapitäns reden, weil Sie Freunde sind. Das erschiene ihm wie ein Vertrauensbruch und wie eine Verletzung der Verbindung, die zwischen Ihnen gewachsen ist.« Er lächelte sanft. »Zwischen uns allen, wenn ich das so sagen darf, Sir Richard!«
In der Pantry war es plötzlich ganz still. Ozzard hörte sicher aufmerksam zu.
»Wenn Sie irgendwas bedrückt, sagen Sie’s mir. Ich glaube auch, daß etwas anders ist als früher.« Wieder sah er auf die See. Yovells Bemerkung berührte ihn mehr, als er zugeben wollte, und erinnerte ihn schmerzlich an Herricks Bemerkung von dem kleinen Kreis verschworener Freunde. Tatsächlich gab es nicht mehr viele. Keverne, der einmal dieses Schiff geführt hatte; Charles Farquhar, einst Midshipman wie Bethune, war an Bord seines eigenen Schiffes vor Korfu gefallen. Und der freundliche Francis Inch, betriebsam, pferdegesichtig, mit einer prächtigen Frau in Weymouth verheiratet. Hannah hieß sie… Er erinnerte sich mit einiger Mühe. Und all die anderen: John Neale, Browne, mit einem »e« am Ende und Averys Vorgänger, Stephen Jenour. So viele. Zu viele. Und alle gefallen.
Er drehte sich wieder um, als Yovell leise sagte: »Kapitän Tyacke hat in Halifax einen Brief bekommen. Er war in der Tasche, die die Reynard übergab.«
»Schlimme Nachrichten?«
Yovell setzte seine Brille sorgfältig wieder auf. »Ich habe nur erfahren, daß er lange unterwegs war. Wie das ja oft der Fall ist mit Post in der Flotte.«
Bolitho starrte ihn an. Natürlich! Tyacke bekam doch nie Post. Wie Avery, bis dieser eine von der Dame aus London ankam. Es war so typisch für Avery, darüber zu schweigen, selbst wenn er den Grund von Tyackes Verschlossenheit kannte. Er würde ihn verstehen. So wie er Adams Wut darüber verstand, kriegsgefangen gewesen zu sein.
»Weiß das schon das ganze Schiff?«
»Nur der Flaggleutnant, Sir.«
Bolitho legte einen Finger auf das Lid und erinnerte sich an das Kleid, das Catherine bekommen hatte, nachdem die
Larne
sie endlich gefunden hatte. Als sie es Tyacke zurückgegeben hatte, hatte sie den Wunsch geäußert, daß eine Frau es tragen möge, die seiner würdig sei… Er ballte die Faust. Es war doch wohl nicht dieselbe Frau? Das war doch nicht möglich! Warum, und warum nach so langer Zeit und der grausamen Art, mi t der sie ihn abgewiesen hatte mit seinem zerstörten Gesicht? Doch in seinem Innersten wußte er, daß sie es war.
Er sah Catherine so deutlich, als blicke er auf sein Amulett. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander. Er wußte von ihren Besuchen in London und daß sie gelegentlich Sir John Sillitoe konsultierte, der sie beim Investieren ihres Geldes beriet. Er vertraute ihr mit ganzer Seele, genau wie sie ihm vertraute. Doch wenn sie jetzt… Er dachte an Tyackes Schweigen und sein Zurückgezogen sein. Der wiedererwachte Schmerz mußte verborgen werden. Was wäre, wenn… »Wenn ich etwas sagte, was ich nicht durfte, Sir Richard…«
»Das haben Sie nicht«, antwortete Bolitho. »Es ist gut, daß man manchmal an die Dinge erinnert wird, die wirklich wichtig sind und die außer Reichweite sind.«
Yovell fand sich bestätigt und war froh, gesprochen zu haben – als Zivilist.
Die zweite Tür ging auf, und leise trat Ozzard ein mit einem Topf Kaffee in der Hand.
»Ist das unser letzter, Ozzard?«
Ozzard sah den Topf bedenklich an. »Nein, Sir Richard. Zwei Wochen reichen wir noch – höchstens. Danach…«
Avery kehrte in die Kajüte zurück, und Bolitho sah ihn eine Tasse vom Tablett nehmen. Dabei paßte er den richtigen Moment ab, in dem das Schiff durch ein paar querlaufende Seen torkelte. Ozzard hatte dem Flaggleutnant eine Kaffeetasse fast mißmutig gefüllt. Was beschäftigte ihn, was lief in seinem Kopf ab in all den Monaten und Jahren, die er auf See verbrachte? Ein Mann, der seine Vergangenheit ausgelöscht hatte und der, wie Yovell, sehr gebildet war, der klassische Literatur lesen konnte und die
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