Unter dem Georgskreuz
Sir Richard. Aber zuerst…«
Bolitho lächelte und teilte seine stumme Traurigkeit: »Einen Schluck Nasses. So soll’s sein.«
Kein Kriegsgeschrei
Richard Bolitho rollte die Karte sehr sorgfältig auf dem Tisch aus und öffnete den Kartenzirkel. Er spürte, wie die anderen ihn beobachteten, Avery vom Heckfenster her und Yovell aus seinem bequemen Stuhl. Papier und Federn hatte er wie immer in Reichweite.
Bolitho sagte: »Zwei Tage – und wir haben nichts gesehen!« Er studierte die Karte wieder und stellte sich dabei seine Schiffe vor, wie sie einem hochfliegenden Seevogel erscheinen mochten: Fünf Fregatten, die in Dwarslinie segelten, mit dem Flaggschiff, der
Indomitable
, im Zentrum. In dieser ausgedehnten Linie, es war die Hälfte seines Geschwaders, konnte man eine gewaltige Meeresfläche absuche n.
Der Himmel war klar mit nur wenigen Streifen blasser Wolken und die See dunkelblau im kühlen Sonnenlicht.
Er mußte an die einsam patrouillierende
Chivalrous
denken, die die
Weazle
nach Halifax geschickt hatte mit der Nachricht, daß die Amerikaner wieder ankerauf gegangen seien. Er konnte sich den Kommandant der
Chivalrous
gut vorstellen: Isaac Lloyd, ein erfahrener Offizier, achtundzwanzig Jahre alt. Er würde versuchen, den Feind in Sicht zu halten, und hatte Verstand genug, sich nicht auf ein Gefecht einzulassen.
Zwei Tage – aber wo waren sie? Vor Halifax oder noch weiter – vor St. Johns auf Neufundland? Er hatte verschiedene Möglichkeiten mit Tyacke und York besprochen. Als er die Fundy Bucht im Nordwesten von Neuschottland erwähnt hatte, hatte York abgewinkt.
»Unwahrscheinlich, Sir. Die Bucht hat die höchsten Tiden der Welt und das meistens zweimal am Tag. Wenn ich der verantwortliche Yankee wäre, wollte ich mich dort nicht erwischen lassen.«
Man hatte Bolitho vor der Fundy Bucht bereits gewarnt. In den Instruktionen der Admiralität war zu lesen, daß die Tide fünfzig oder mehr Fuß steigen und fallen konnte. Kleinere Schiffe hätten mit wilden Gezeitenströmen ein weiteres Problem. Kein Ort also für Fregatten, selbst für große amerikanische nicht. Und auch nicht für die
Indomitable
.
Er dachte an Herrick, der auf dem Weg über den Atlantik nach London war, wo er irgend jemandem in der Admiralität die Ergebnisse seiner Ermittlungen auf den Tisch knallen würde. War er froh, dies alles endlich hinter sich lassen zu können? Oder haßte der alte, zähe Herrick ganz tief drinnen diese Verabschiedung von einem Leben, für das er keine Alternative hatte?
Dies alles hatte offenbar große Wirkung auf Tyacke. Nach Herricks Aufbruch mit der Fregatte, die ihn nach England bringen sollte, war er noch verschlossener als sonst.
Er warf den Zirkel auf die Karte. Vielleicht war dies alles reine Zeitverschwendung oder noch schlimmer, eine Kriegslist, die sie von irgend etwas viel Wichtigerem ablenken sollte.
Er trat ans Heckfenster und spürte das Schiff unter sich fallen, steigen und rollen. Auch das Bild hatte er klar vor Augen: die
Indomitable
mit dichtgebraßten Rahen auf Backbordbug, der Wind aus Südost, wie fast immer seit ihrem Aufbruch aus Halifax. Adam hatte offen dagegen protestiert, daß er zurückbleiben mußte. Doch die
Valkyrie
war die zweitstärkste Fregatte des Geschwaders, und Keen konnte sie vielleicht brauchen.
Adam hatte keinen Augenblick gezögert, seinen Ersten Offizier zur Beförderung auf das zweifelhafte Kommando der
Reaper
zu empfehlen. Es war eine Herausforderung für jeden, doch Adam hatte geradeaus gesagt: »Ich hätte es selber übernommen, wenn ich gekonnt hätte.« Standen die Dinge zwischen ihm und Val so schlecht?
Avery warf leise ein: »Wir könnten sie nachts verpaßt haben, Sir Richard!«
»Wenn sie uns suchten, dann bestimmt nicht!« Bolitho verwarf seine Gedanken und wandte sich wieder den jetzigen Problemen zu. »Bitten Sie Mr. York, mir noch mal seine Aufzeichnungen zu zeigen!«
Wieder rollte die Kajüte, und der Zirkel fiel auf den Boden. Yovell lehnte sich vor, um ihn aufzuheben, doch der Winkel war so steil, daß er in seinen Stuhl zurückgedrückt wurde. Er wischte sich das Gesicht mit einem hellroten Taschentuch. Lebendig oder nicht – die alte
Indom
nahm die Seen gut. York hatte sie auf seine ruhige, humorige Weise treffend beschreiben: »Sie ist wie eine kahlköpfige Barkentine, Sir Richard. Steif in jedem Wind und steif auch ohne.«
Plötzlich unterbrach ihn Yovell. »Würden Sie mich als Zivilisten bezeichnen, Sir Richard? Denn trotz der
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