Unter dem Georgskreuz
Mannschaft –
so nannte er sie. Für Avery war das gefährlich nahe an einer Familie.
Der Schneider Arthur Crowe sah zu ihm hoch. »Alles zu Ihrer Zufriedenheit, Sir? Die anderen Kleider werde ich Ihnen schicken, sobald sie fertig sind.« Höflich, fast unterwürfig. Ganz anders als bei ihrem ersten Treffen. Crowe hatte damals fast ein paar kritische Sätze über Averys Uniform fallen lassen, die Joshua Miller in Falmouth geschneidert hatte.
Wieder so ein armer Hund, mit fünfunddreißig zu alt für seinen Rang, irgendwas hängt über ihm. Wird Leutnant bleiben, bis er entlassen wird oder der Tod die Sache entscheidet.
Avery hatte die stumme Kritik verdorren lassen, indem er wie nebenbei Bolithos Namen erwähnt hatte und die Tatsache, daß die Millers schon seit Generationen die Uniformen der Bolithos schneiderten.
Er nickte. »Sehr zufrieden.« Sein Blick blieb auf der glänzenden Epaulette auf seiner rechten Schulter hängen. Daran mußte er sich erst gewöhnen. Ein einzelnes Schulterstück auf der rechten Schulter hatte bisher den Rang eines Kapitäns signalisiert, eines Kapitäns, der noch keinen vollen Rang hatte, aber immerhin schon Kapitän war. Ihre Lordschaften hatten das offensichtlich auf Drängen des Prinzregenten geändert. Die einzelne Epaulette gehörte jetzt zum Leutnant – jedenfalls so lange, bis wieder etwas Neumodisches eingeführt wurde.
Der Raum wurde dunkler. Sicher zogen Wolken auf. Doch es war eine Kutsche, die auf der Straße genau vor dem Fenster hielt. Ein sehr elegantes Fahrzeug, tiefes Blau, irgendein Wappen an der Seite. Auch der Schneider hatte die Kutsche bemerkt. Er eilte zur Tür, öffnete sie und ließ bitterkalte Luft herein.
Seltsam, dachte Avery, in keinem einzigen Laden sah man Knappheit. Es schien, als fehle nichts, so als fände der Krieg gegen Frankreich oder Amerika auf einem anderen Stern statt.
Eine Frau stieg aus der Kutsche. Sie trug einen schweren, hochtaillierten Mantel fast in der Farbe der Kutsche. Der Rand einer Haube verdeckte ihr Gesicht, als sie nach unten auf das Straßenpflaster blickte.
Arthur Crowe verbeugte sich steif. Sein Maßband hing um seinen Hals wie eine Amtskette.
»Was für eine Freude, Sie an diesem frischen Morgen wieder begrüßen zu dürfen, Mylady.«
Avery lächelte in sich hinein. Crowe kam es offensichtlich darauf an, die zu kennen, die wichtig waren. Und die anderen zu übersehen.
Er dachte an Catherine Somervell und fragte sich, ob sie wohl auch Bolitho bewegt hatte, seine Einkäufe in dieser wohlhabenden Straße zu tätigen.
Dann drehte er sich um. In seinem Kopf wirbelte es. Die neue Epaulette, der Laden, alles schien zu verschwinden wie die Bruchstücke eines Traums.
Die Tür fiel zu, und er wagte kaum, sich wieder umzudrehen.
Crowe fragte: »Sind Sie sicher, daß ich nichts mehr für Sie tun kann, Mr. Avery?«
Avery sah zur Tür. Der Schneider war allein. »Stimmt irgendwas nicht?« wollte er wissen.
»Die Dame da eben.« Er sah nach draußen, doch auch die Kutsche war schon verschwunden. Bruchstück eines Traums. »Ich dachte, ich würde sie kennen.«
Crowe beobachtete seinen Gehilfen beim Einpacken des Bootsmantels, den Avery erstanden hatte. »Ihr Mann war ein guter Kunde. Schade, daß wir ihn verloren haben, obwohl er nicht immer leicht zufriedenzustellen war.« Ihm fiel auf, daß das wohl kaum die Antwort war, die Avery erwartete. »Lady Mildmay. Die Frau, oder soll ich besser sagen, die Witwe von Vizeadmiral Sir Robert Mildmay.«
Also war sie es! Als er sie zum letzten Mal getroffen hatte, war sie nur die Frau seines Kapitäns auf der
Canopus
gewesen.
»Ist sie die Dame, die Ihnen bekannt schien?« faßte Crowe nach.
»Ich glaube, ich habe mich geirrt.« Er griff nach seinem Hut. »Bitte schicken Sie alles andere an die Adresse, die ich Ihnen nannte.«
Kein Zögern, keine Fragen. Sir Richard Bolithos Name öffnete viele Türen.
Er trat auf die Straße und war froh, sich wieder bewegen zu können. Was hieß das schon? Warum bedeutete sie ihm so viel? Damals war sie unerreichbar gewesen, als er dumm genug glaubte, es handle sich für sie um mehr als nur ein amüsantes Spiel, einen Flirt im Vorübergehen.
Ob sie sich verändert hatte? Er hatte einen Schimmer ihres Haares gesehen, honigfarben. An wieviel Tagen, in wieviel schlaflosen Nächten hatte er versucht, es zu vergessen. Wahrscheinlich war sie einer der Gründe, weswegen er seinem Onkel nicht widerstanden hatte, als er vorschlug, er möge sich als
Weitere Kostenlose Bücher