Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Titel: Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
Vom Netzwerk:
alles vergessen.»
    Ach ja? Schön wär’s. Das ist doch ganz eindeutig gelogen. Denn wenn ihr alles vergessen hättet, könntet ihr mich ja nicht mit euren Schauergeschichten erschrecken.
    Ich habe noch den Satz einer Bekannten im Ohr: «Nach siebenundvierzig Stunden war die Saugglocke eine Offenbarung, obschon ich dachte, mich zerreißt es!»
    Auf einmal erinnern Mütter sich ganz vortrefflich daran, dass bei ihnen die Narkose nicht gewirkt hat, sie nach sechsunddreißig Stunden Wehen dann doch einen Kaiserschnitt bekommen haben oder zwei Jahre nach der Geburt immer noch inkontinent waren und nur auf weichen Gummibällen sitzen konnten.
    Mein Mann kam neulich grünlich nach Hause, weil ihm ein Kumpel beim späten Getränk zugeraunt hatte: «Das Geräusch des Dammschnitts werde ich nie vergessen.»
    Am schlimmsten, weil am ehrlichsten ist es, wenn man mit Frauen über die Geburt spricht, die noch keine Zeit hatten, das Erlebte zu verklären, und den Schlusssatz «Aber es hat sich alles total gelohnt» weglassen.
    Das Baby meiner Freundin Anna ist jetzt ein halbes Jahr alt. Es war drei Stunden auf der Welt, als ich mit Anna telefonierte. Da wusste ich gerade seit einer Woche, dass ich schwanger bin, und hatte es ihr noch nicht gesagt. Anna war fertig. Erschöpft, apathisch, traumatisiert.
    Sie war an eine Hebamme geraten, die sich als militant esoterisch herausstellte und sich weigerte, gegen Annas unerträgliche Schmerzen mit etwas anderem vorzugehen als homöopathischen Kügelchen und entspannender Harfenmusik.
    Es sei zu spät für eine PDA, eine Narkose, die alles betäubt, ohne das Kind zu beeinträchtigen. Außerdem laufe die Geburt hervorragend, in spätestens einer Stunde sei alles überstanden.
    Anna schrie und weinte und drohte und tobte. Nichts zu machen. «Das ist normal, das schaffst du, da musst du durch», sagte die Hebamme.
    Eine Stunde kann sich ganz schön hinziehen. Und Anna hat diese Stunde als den Horror ihres Lebens empfunden und sagt bis heute, dass sie bei einem zweiten Kind auf einer PDA bestehen und notfalls die Hebamme rausschmeißen würde.
    Annas Hebamme hatte eine Menge Erfahrung und selbst zwei Kinder, natürlich ohne Narkose und bei sich zu Hause, auf die Welt gebracht. Aber manchmal, so denke ich, kann Erfahrung auch hart machen und unempfindlich gegen die Schmerzen der anderen, weil man sie selbst ja auch durchgestanden und irgendwie überlebt hat.
    Ich will im Kreißsaal nicht betteln und nicht diskutieren. Ich kann mich einschätzen. Ich kenne meine Ängste und meine Schmerzgrenze. Ich weiß, was zu ertragen ich bereit bin und was nicht. Es gibt nirgendwo einen Preis zu gewinnen für Frauen, die ohne Schmerzmittel entbinden, und wenn ich sage: «PDA», dann will ich unverzüglich einen Anästhesisten hinter mir stehen haben, der mir eine lange Nadel in den Rücken pikst. So.
    (Der Gerechtigkeit und Ausgewogenheit halber muss ich hier noch kurz von meiner Freundin Suse erzählen: Um vier Uhr nachmittags bekam ich eine SMS von ihrem Freund: «Unser Sohn Johannes ist vor einer Stunde geboren worden! Alle wohlauf!» Sechzig Minuten später sah man mich in maximaler Aufregung und Rührung durch den Krankenhausflur eilen, um meine Freundin zu beglückwünschen. Aber ihr Zimmer war leer. Suse war schon nach Hause gegangen.)
    Ich gehöre jedenfalls ganz eindeutig eher zu den Angsthasen als zu den Naturburschen. Deswegen entbinde ich auch in einem Krankenhaus mit direkt angeschlossener Neugeborenen-Intensivstation. Neulich war ich dort, um die Räumlichkeiten zu besichtigen.
    Alles, was mit Geburt zu tun hat, ist in einem separaten Gebäude untergebracht. Das ist angenehm und angemessen, finde ich, dass du nicht in dieser oftmals so bedrückenden Atmosphäre von Krankheit und Tod dein Kind zur Welt bringst und beim ersten Spaziergang mit Baby nicht am Eingang auf die Männer triffst, die vor jedem Krankenhaus stehen, gierig rauchend, obschon ihnen monströse Kanülen aus dem Hals ragen und sie einen Ständer mit Infusionen neben sich herschieben.
    Mit etwa zwanzig anderen schwangeren Frauen wurde ich durch die Kreißsäle geführt. Zwei durften wir uns anschauen, in einem dritten herrschten jedoch ganz eindeutige Geburtsaktivitäten.
    Selbst durch die geschlossenen Türen drangen Geräusche zu mir, die mich an den Film «Blutrausch im Mädchenpensionat» erinnerten. Auch Gebärende sollten sich zusammenreißen, können sie doch nie wissen, wer gerade draußen vorbeikommt und wen sie mit

Weitere Kostenlose Bücher