Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
wird übel. Eine Art Säge liegt da. Darunter auf einem Schild der erklärende Text, dass bei einem Geburtsstillstand, bei dem das Leben von Mutter und Kind in Gefahr war, das Ungeborene im Mutterleib zerteilt wurde, um die Mutter zu retten.
Welcher Idiot mit welchem verqueren Bildungsauftrag hat sich das wohl ausgedacht? «Informative Ausstellung über die Gynäkologie im Wandel der Zeiten» oder was? Bisschen Bildung, während man auf die Entbindung wartet? Oder soll ich mich einfach glücklich schätzen, dass ich nicht damals schwanger war?
Ich finde in dieser Nacht nicht in den Schlaf. Ringe um Vertrauen, um Zuversicht. Ich finde meine innere Ruhe nicht mehr.
Bis mein Sohn sich bewegt und mich freundlich von innen streichelt, als wolle er mich beruhigen und sagen: «Alles wird gut, jetzt mach dich mal nicht verrückt, Alte, ich bin doch bei dir.»
Und da bin ich endlich eingeschlafen.
«Phantasie ist wichtiger
als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.»
ALBERT EINSTEIN
29. Januar
M eine Hebamme gefällt mir. Anfang fünfzig, gut gekleidet, nichts Selbstgestricktes, keine gebatikte Handtasche, kein Poncho, keine Freundschaftsbändchen am Arm oder sonst irgendwas, was auf eine radikale Beziehung zu Naturheilkunde und Duftkerzen schließen ließe.
Sie ist pragmatisch und klar, mit Sinn für Humor und Hang zum offenen Wort. Sie heißt Michaela und sagte, wir sollten uns bereits jetzt lieber duzen, weil es komisch sei, in der Austreibungsphase der Geburt jemanden mit Nachnahmen anzuschreien.
Das erschien mir einleuchtend. Das Wort «Austreibungsphase» setzte ich innerlich schon mal auf die lange Liste seltsamer bis unappetitlicher Worte aus dem Themenkreis Schwangerschaft und Geburt, die ich in den letzten Monaten bereits um die Begriffe «Gebärmutterhals», «Dammriss», «Milcheinschuss» und «Linea nigra» erweitert hatte.
Ich schloss Hebamme Michaela sofort in mein Herz, als sie meinen Bauch abtastete und sagte, sie könne nicht genau sagen, wie das Kind liegt, weil man das bei einer so trainierten Bauchmuskulatur nur schlecht spüren könne.
Die Frau scheint mir eine absolute Spitzenkraft zu sein. Wenig später stellte sie allerdings auch fest, dass eine derart unweibliche, knabenhafte Figur wie meine ja nur selten Hand in Hand ginge mit einem absolut typisch weiblich undisziplinierten Bindegewebe.
Wie gewonnen, so zerronnen.
Nicht ohne Stolz wies ich Michaela dann noch darauf hin, dass ich ja dank meiner ambitionierten Bauchzupfmassage, mit der ich schon vor Jahren begonnen hatte, die berüchtigten und weitverbreiteten Dehnungsstreifen bisher komplett vermeiden konnte.
«Das ist kein Wunder», ernüchtert mich Michaela. «Das Gewebe älterer Mütter ist meist schon vor der Schwangerschaft so ausgeleiert, dass es da nichts mehr zu überdehnen gibt.»
15. Februar
Schwangerschaftswoche: 29, (8. Monat)
H eute hatte ich gleich zwei Erlebnisse der befremdlicheren Art. Am Vormittag war ich in einem kleinen Laden, der mir vorher noch nie aufgefallen war. Es gibt dort maßgefertigte Kompressionsstrümpfe.
Mein Frauenarzt hatte sie mir, wie ich finde, etwas zu bereitwillig verschrieben, nachdem ich mich beim letzten Untersuchungstermin fluchend auf die Liege gewuchtet und vorwurfsvoll auf meine untere Körperhälfte gedeutet hatte.
«Tun Sie was dagegen», hatte ich anklagend gesagt und von den rasant anschwellenden Wassereinlagerungen rund um die Knöchel berichtet, die zu besagten Strangulationsmalen, verursacht durch Socken, führen würden.
Außerdem war mir zu Ohren gekommen, dass manche Frauen nach ihrer Schwangerschaft eine Schuhgröße mehr haben, andere wiederum bekommen, bedingt durch das große Gewicht, das auf ihnen lastet, lebenslang Plattfüße und müssen spezielle Schuhe mit Einlagen tragen.
Und ich konnte mir leicht ausrechnen, dass zu diesen «speziellen Schuhen» die zehenfreien Stilettos von «Louboutin» und die Riemchensandalen mit Keilabsatz von «Boss» aus meinem Schrank NICHT gehören. Ich machte meinem Arzt klar, dass beide für mich keine in Frage kommenden Optionen sind. Meine Schuhgröße ist mir heilig, war sie bisher doch die einzig verlässliche Größe in meinem Leben. Demzufolge hatte ich nicht gezögert, eine Menge Geld in die Anschaffung dieser zuverlässigen Begleiter zu stecken.
Eine Nummer größer käme für mich einem finanziellen Ruin gleich, und wenn mein Arzt es für nötig und sinnvoll erachten würde, würde ich auf der Stelle jegliche
Weitere Kostenlose Bücher