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Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Titel: Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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ihrem Gekreische womöglich fürs Leben traumatisieren.
    Ich weiß ja nicht, ob es anderen auch so geht, aber angesichts dieser unschönen Aussichten habe ich mich daraufhin vermehrt mit dem Thema «Wunsch-Kaiserschnitt» beschäftigt. Eine geräuscharme und zeitlich überschaubare Angelegenheit. Es wird schon seinen Grund haben, dachte ich mir, warum immer mehr Frauen freiwillig per Kaiserschnitt entbinden – besonders so schöne und reiche Leute wie Claudia Schiffer, Angelina Jolie und meine Bekannte Sandra O. «Mir graute es vor einer spontanen Geburt. Na und? Bin ich deswegen ein schlechterer Mensch? Eine Operation ist planbar, und das Risiko ist nicht höher als bei einer spontanen Geburt. Also habe ich mich für einen Kaiserschnitt entschieden. Außerdem hatte ich keinen Bock, nachher eine gullydeckelgroße Vagina zu haben.»
    Gullydeckel? Kreisch! Meine dezenten Umfragen zu diesem Thema haben mich jedoch beruhigt. Sandra O. ist offensichtlich einer Fehlinformation zum Opfer gefallen. Kein Gullydeckel in meinem näheren und weiteren Umkreis.
    Ich finde ja, dass die Möglichkeit, sich zu entscheiden, ein manchmal fragwürdiger Luxus ist. Nicht genug, dass man sich heute entscheiden darf, ob man überhaupt ein Kind bekommen will. Dann darf man sich auch noch entscheiden, wie man es bekommen will. Ab und an wünsche ich mir dann doch, nicht die Wahl zu haben. Kein Für und Wider abwägen zu müssen bei einer Sache, die ich so wenig beurteilen kann.
    Was kommt auf mich zu? Was sind das für Schmerzen? Werde ich sie ertragen können? Werde ich mich lebenslang für einen Feigling halten, wenn ich mich ohne Not für einen Kaiserschnitt entscheide? Ist es normal, Angst vor der Geburt zu haben? Und wenn ja, wie viel Angst ist normal?
    Schrecklich, diese Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Manchmal verwünsche ich meinen Sohn, der seit seiner Zeugung in vortrefflicher Geburtsposition liegt. «Es tut mir leid, aber bei Ihnen spricht medizinisch nichts für einen Kaiserschnitt», hat mein Arzt bei der letzten Untersuchung gesagt.
    Mittlerweile habe mich zu einer Entscheidung durchgerungen: ein klares «Jein» zur spontanen Geburt. Ich war schon immer ein großer Freund von knallharten Zwischenlösungen.
    Erst versuchen, was «natürlich» geht, die eine oder andere Wehe kennenlernen, die eigenen Stärken und Schwächen einschätzen und dann, im Härtefall, nach Narkosemittel und moderner Medizin krakeelen. Ein schöner Kompromiss, wie ich finde. «Schneiden kann man jederzeit», sagt mein pragmatischer Gynäkologe.
     
    Aber zurück zur Krankenhausbesichtigung. Nachdem wir die Kreißsäle hinter uns gelassen hatten, wurden wir durch die Neugeborenenstation geführt. Das war eigenartig. Frauen kamen uns entgegen in Bademänteln, ihre winzigen, schrumpeligen, schlummernden Babys in gläsernen Rollwägelchen vor sich herschiebend.
    Ich dachte: Noch drei Monate, dann werde ich mein Kind hier entlangschieben und in die erwartungsvollen, gespannten, teilweise ängstlichen Gesichter der Besichtigungstruppe blicken, die alles noch vor sich hat.
    Ich bin zuversichtlich. Aber warum eigentlich?
    Ich betrachte die Frauen um mich herum. Wahrscheinlich wird es nicht bei uns allen glattlaufen. Bei welcher von uns wird das Schicksal zuschlagen? Welcher von uns wird das Glück nicht hold sein?
    In meinem Bekanntenkreis habe ich drei Frauen, die schwerstbehinderte Kinder zur Welt gebracht haben. Ich kenne eine Frau, der starb das Kind im Leib. Drei Wochen vor der Geburt. Einfach so. Sie hat es nicht gemerkt. Bis bei der nächsten Ultraschalluntersuchung kein Herzschlag mehr festgestellt werden konnte.
    Meine eigene Mutter verlor mein jüngeres Schwesterchen, weil der Hausarzt ein Abführmittel verschrieb, das zu einer Frühgeburt in der dreißigsten Woche führte.
    «Ich habe sie geboren. Ich habe sie gesehen. Ich habe sie sterben sehen», sagte meine Mutter damals ganz ruhig, wie betäubt, zu ihrer Schwester Hilde. Danach sprach meine Mama nie wieder über das Mädchen, das den Namen Angela hätte tragen sollen.
    Heute, hier, jetzt kann ich zum ersten Mal erahnen, dass manche Wunden niemals heilen.
    Ich verbiete mir, weiterzudenken. Aber ich gehorche mir nicht. Ich sage mir: Es wird alles gut. Aber ich weiß: Das haben auch die gedacht, bei denen nicht alles gut wurde.
    Im Foyer des Krankenhauses sind medizinische Geräte ausgestellt, mit denen Frauen vor mehr als hundert Jahren entbunden wurden.
    Ich traue meinen Augen nicht. Mir

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