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Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Titel: Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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noch nicht mal ansatzweise krabbelt. Sie schlug vor, ich solle mal zum Physiotherapeuten gehen. Ihre Tochter würde nämlich schon die ersten Schritte machen.»
    «Ich könnte kotzen, wenn ich das nur höre! Diese verdammten Mütter, die ihr Kind für den Nabel der Welt halten und das auch noch raushängen lassen, sind doch wirklich widerlich. Das sind genau die unterzuckerten Pissnelken, die ihren Kindern schon vor der Schule Lesen und Schreiben beibringen und sich dann wundern, warum die im Unterricht ständig stören. Hüte dich vor anderen Müttern. Sie sind deine schlimmsten Feindinnen!»
    Sehr hilfreich war auch das Kapitel «Müsste er das nicht schon lange können?» aus dem Buch «Muttergefühle» von Rike Drust.
     
    «Mein Sohn konnte wirklich gar nichts, was er laut Buch hätte können sollen. Zum Beispiel:
    ‹Es kann ein einfaches dreiteiliges Puzzle zusammensetzen.›
    Er hat zwei Teile weichgespeichelt. Das dritte ist verschwunden.
    ‹Es findet selbst ein Objekt, das er als Laufhilfe benutzt.›
    Er zieht sich am Wohnzimmertisch hoch, schwankt ein bisschen und fällt wieder um.
    ‹Es stellt sich auf den Kopf, ehe es mit Ihrer Hilfe einen Purzelbaum schlägt.›
    Er krabbelt und hält manchmal an, um an einer Teppichfranse zu lutschen.
    ‹Wenn Sie fragen: Wo ist deine Nase?, zeigt es auf seine Nase.›
    Er schaut orientierungslos im Raum herum, will auf seinen Vater zeigen und sticht sich dabei ins Auge.
    ‹Es bürstet seine Haare.›
    Er hat keine Haare. Aber er haut sich mit der Bürste.
    ‹Es pustet sein Essen kalt, bevor es einen Bissen nimmt.›
    Er versucht, sein Essen zu kühlen, indem er es durch die Luft wirft. Danach schreit er, weil er Hunger hat.»
     
    Ich bin jetzt genauso entspannt wie mein Sohn, blicke buddhistisch auf das wuselige Treiben in der Babygruppe um ihn herum und streiche ihm milde und stolz lächelnd über die Thomas-Gottschalk-Frisur.
    «Keine Vergleiche», lautet von nun an die Devise, an die ich mich halte. Fast immer.
    Weil, mir ist jetzt etwas sehr Beruhigendes aufgefallen, und ich werde nicht müde, die anderen Mütter dezent darauf hinzuweisen: Mein Sohn hat unendlich schöne und lange Wimpern! Und die sind viel länger als die der anderen Kinder!
    Von mir hat er die allerdings nicht.

«Das Beste ist, wenn Kinder mit echten Menschen
    aufwachsen und nicht mit Schauspielern, die immerzu
    ihre Elternrolle aufführen.
    Wer dauernd pädagogisch handelt, zieht den Nachwuchs
    zu Gefühlskälte heran.»
    JESPER JUUL
    10. Dezember
    S chon wieder tue ich etwas, was ich nie tun wollte: Ich verschicke Weihnachtskarten mit meinem Kind drauf.
    Ich möchte ganz einfach die Zeit ausnutzen, solange sich Schlomenberger noch nicht wehren kann, dass ich ihn nach Herzenslust verunstalte und dekoriere.
    Also habe ich ihm bei «H&M» einen Weihnachtsanzug inklusive Weihnachtsmann-Zipfelmütze gekauft, ihn auf unser Sofa zwischen einen Stoff-Elch und einen Weihnachtsengel gesetzt und so lange fotografiert, bis ein Bild gelungen war, auf dem alle drei einigermaßen gut aussahen.
    Versehen habe ich das Ganze selbstverständlich mit einem selbstironischen Text, in dem ich mich über mich selbst lustig mache und mein Kind bedauere.
    Aber macht es das wirklich besser?
    Was bleibt, ist ein Fotobeweis, mit dem mein Sohn später einmal alle Schuld auf mich schieben kann. Egal, ob er faul, ungehorsam, internetsüchtig oder ein ekelhafter Streber wird, er wird immer behaupten können, es habe am frühkindlichen Zipfelmützen-Trauma gelegen.

    Egal. Mütter sind eben auch nur Menschen. Ich kann einfach nicht anders.
    Nicht auszudenken, hätte ich ein Mädchen bekommen. All die Feen- und Prinzessinnen-Outfits, ich hätte es niemals geschafft, sie links liegenzulassen.
    Ich hätte eine «Lillifee»-Selbsthilfegruppe besuchen und eine Schuldenberatung in Anspruch nehmen müssen, und aus meiner Tochter wäre womöglich eine Art Paris Hilton des Hamburger Mittelstands geworden, eine rosafarbene Witzfigur mit schwerer Shoppingneurose und null Ambition in Sachen Gleichberechtigung.
    Es ist also doch alles gut so, wie es ist.
    Dennoch werfe ich sehnsüchtige und neidvolle Blicke in die Mädchenabteilungen, wo die Mütter sich beladen mit Tüll-, Samt- und Blümchenstoffen und mit entzückenden «Hello Kitty»-Haarspängchen für nahezu haarlose Einjährige.
    Mein Sohn ist leider jetzt schon aus dem Alter raus, wo er hellblau gestreifte Strampler, Mützchen mit Öhrchen dran und pastellfarbene

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