Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
Mama oder Papa, und wehe, es bleibt stehen oder wagt gar, sich mit Baby im Arm einigermaßen bequem hinzusetzen. Sofort werden Äuglein und Mäulchen sperrangelweit aufgerissen, lautstark Beschwerden geäußert, Menschenrechtsorganisationen um Hilfe angerufen.
Und schon sieht man sich wieder hundemüde auf und ab schlurfen, mittlerweile ist es halb vier, und auf längst und zu Recht vergessen geglaubtes Liedgut zurückgreifen.
Mein Sohn braucht im Schnitt sechs «La Le Lu», zwei «Über sieben Brücken musst du gehen» und anderthalb «Mer losse der Dom en Kölle». Dann ist er leidlich zuverlässig wieder eingeschlafen und verbringt den Rest der Nacht da, wo der schlafende Mensch hingehört: im Bett.
Ich bin sehr ungern um vier Uhr morgens wach. Es sei denn, ich spiele betrunken mitten auf einer Tanzfläche Luftgitarre zu «Smoke on the water». Alles andere ist indiskutabel.
Vier Uhr ist eine leblose, eine unheimelige Zeit. Selbst die, die sehr spät ins Bett gehen, schlafen schon. Und selbst die, die sehr früh aufstehen müssen, schlafen noch.
Und du lehnst mit deinem halbschlafenden Kind im Arm am Fenster, und in den Häusern gegenüber brennt nirgends Licht.
Da kann man sich ganz schön allein fühlen und sich nichts sehnlicher wünschen, als in direkter Nachbarschaft einer 24-Stunden-Tankstelle oder eines durchgehend geöffneten Sexclubs zu wohnen.
Wie lange das noch so weitergeht?
Wenn ich eines als tiefe Wahrheit verinnerlicht habe in der kurzen Zeit meines Daseins als Mutter, dann ist es der Satz: DAS IST NUR EINE PHASE.
Damit rettet man sich von einer durchwachten Nacht zur nächsten. Von der Virusinfektion über die Mittelohrentzündung bis zur Maul-und-Klauen-Seuche.
Alles geht immer irgendwann vorbei. Allerdings sind auch die guten Phasen nichts, worauf man vorschnell Wetten abschließen sollte.
Neulich sagte mir der Vater eines Fünfjährigen: «Der Benni kommt jetzt fast jede Nacht wieder zu uns ins Bett. Meine Frau und ich können überhaupt nicht mehr fernsehen.»
Wenn du denkst, du seist aus dem Gröbsten raus, hast du falsch gedacht.
Als Johannas großer Sohn seine chronische Bronchitis überwunden hatte, kam er in eine lange und laute Trotzphase. Als er endlich trocken war, bekam er einen kleinen Bruder und pinkelte wieder zweimal am Tag in die Hose. Seit Monaten schläft er laut schnarchend durch. Im Elternbett.
Leider – auch hier hat der Erfinder nicht richtig nachgedacht – gehört kaum ein Baby zur Gattung «Langschläfer». Jüngst klingelte bei mir morgens um sieben das Telefon. Es war Ulla aus dem PEKiP-Kurs, die wissen wollte, ob ich vier Gläschen Pastinake-Kartoffel-Fenchel-Brei gebrauchen könnte. Ihre Tochter hätte ihre Einstellung gegenüber Pastinake geändert und würde sie jetzt grundsätzlich ablehnen.
«Mein Junge macht sich nichts aus Fenchel», sagte ich bedauernd, und dann plauderten wir noch eine Weile wie selbstverständlich. Morgens um sieben. Noch vor zehn Monaten hätte ich jeden wegen Hausfriedensbruch angezeigt, der es gewagt hätte, mich um diese Zeit anzurufen.
So, es ist spät geworden und Zeit, mein Baby auf und ab zu tragen, diesen kleinen Engel. Ach, was sage ich: Erzengel!
17. Dezember um 22 Uhr 30
Ich sitze in einem Hotelzimmer in Köln und komme mir großartig vor. Gerade habe ich meinen Auftritt in der Talkshow «Kölner Treff» hinter mich gebracht. Ich fand mich gigantisch. Was damit zusammenhängen dürfte, dass ich während der Aufzeichnung zügig zwei Glas Sekt trank und mich so in einen redseligen und der Welt zugewandten Zustand versetzte, bei dem kritische Selbstwahrnehmung nicht gerade an erster Stelle steht.
Blöd war allerdings, dass ich kurz vor der Sendung auf die Toilette musste und in meinem angespannten Zustand vergaß, dass ich bereits verkabelt war und mir ein Sender in der hinteren Hosentasche steckte. Der platschte peinlicherweise ins Klo.
Ich hoffte noch, dass es niemand bemerken würde, und trocknete das Teil gerade ab, als ich schrille Stimmen auf den Fluren hörte: «Wir haben sie verloren!»
«Das Sendesignal zur Kürthy ist weg!»
Betreten trat ich aus dem WC. Die Redaktionsassistentin versicherte mir, dass so was hier nicht zum ersten Mal passiere. Nach der Sendung gestand sie mir, dass das eine Lüge gewesen sei.
Dennoch war ich in Hochstimmung. Ich mag die Moderatorin Bettina Böttinger besonders gerne leiden, und ich genoss jeden der fünfhundert Kilometer, die zwischen mir und meinem Sohn
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