Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
fluchenden Papa, die hektische, ungeschickt mit Lappen hantierende Mutter und das hübsche kürbisfarbene Muster.
Das kürbisfarbene Lätzchen, beinahe unnötig zu erwähnen, bleibt hingegen oft tagelang unbefleckt.
Fleisch findet Schlominsky übrigens am allergrößten. Dieses Kind entwickelt sich bedauerlicherweise immer mehr zu einem allen Klischees entsprechenden Mann: ein Fleischfresser mit Haarausfall, Bauchansatz und fragwürdigem Frauengeschmack, der beim Anblick eines Balles durchdreht.
Denn es gibt nur eins, was meinen Sohn mehr fasziniert als bunte Bälle: wasserstoffblonde Frauen mit großen blauen Augen, Riesenbrüsten, langen Beinen und Haaren bis zum Hintern.
«So was kennt er halt von zu Hause nicht», meinte der Patenonkel uncharmant, als mein Sohn eine seinem Geschmack entsprechende Kellnerin belästigte.
Und als uns Lisa besuchte, eine lebendige Barbiepuppe, war der kleine Macho völlig aus dem Häuschen und kurz davor, das Laufen zu erlernen, bloß um irgendwie auf Lisas Schoß zu gelangen.
Es war mir peinlich, denn Patentante Mona, auch eher kleinbrüstig und brünett, saß gänzlich unbeachtet und deutlich beleidigt daneben.
Doch zurück zum Thema Nahrungsaufnahme und zu einer damit zusammenhängenden unbequemen Wahrheit, die man bedenken sollte, bevor man die Pille absetzt. Solange man ein Kind stillt, ist der Windelwechsel eine harmlose, nahezu geruchlose Angelegenheit. Sobald aber zum ersten Mal Fleisch den jungfräulichen Darm passiert hat, ist diese Idylle Vergangenheit.
Mich traf diese Erkenntnis unvermittelt, und man sah, wie ich mich keuchend und grünlich und einer Ohnmacht nahe zur Mülltonne vorm Haus schleppte, um die kontaminierte Windel außerhalb des Wohnbereiches zu entsorgen. Gleichzeitig mit einem Kind sollten Sie sich also einen gut schließenden Windeleimer anschaffen.
«Eine Mutter kann immer nur so glücklich
sein wie ihr unglücklichstes Kind.»
TOMI UNGERER
30. November
W ir dachten, ein paar Tage Urlaub seien eine gute Idee.
Das stimmte aber nicht.
Gerade sind wir zurückgekommen aus Kitzbühel, und selten war ich so froh, wieder zu Hause zu sein.
Im Hotel hatte sich außer uns noch die gesamte russische Verkaufsmannschaft von Mercedes zur Tagung einquartiert. Die Sauna war voll von behaarten, massigen Männern, die gierig glotzten und Aufgüsse mit Wodka veranstalteten.
Die wenigen deutschen Gäste beschwerten sich, dass Jenny Elvers das beste Zimmer bekommen hatte, obschon sie nicht zu den Stammgästen zähle.
Die österreichische Babysitterin, die abends auf Schlominsky aufpassen sollte, war eine fiese, alte Übelkrähe, die ständig in schnarrendem Dialekt Horrorgeschichten von Kleinkindern erzählte, die wahlweise und immer sehr plötzlich an Hirnhautentzündung, Unterkühlung oder Austrocknung gestorben waren.
Unseren sowieso schon etwas quengeligen Sohn versuchte sie durch derart talentfreies Schütteln zu beruhigen, dass sich mir allein beim Zuschauen die restliche Milch im Busen zu saurer Sahne verfestigte.
Am dritten Tag bekam Schlomo hohes Fieber. Die Babysitterin wurde entlassen, und ich befand mich in ständigem Telefonkontakt mit der Kinderärztin in Hamburg.
Zäpfchen und Wadenwickel nutzten nichts, und so verbrachten wir die letzte Nacht unseres Urlaubs im Krankenhaus, wo bei Schlomo eine Mittelohrentzündung inklusive beginnender Mandelentzündung diagnostiziert wurde.
Mein armes, krankes Küken lag mal in Vaters und mal in Mutters Arm. Wimmerte und schnaufte, denn es ist schon übel, wenn die Nase verstopft ist, man aber dennoch nicht auf die Benutzung eines Schnullers verzichten möchte.
Um uns herum schrien Kinder im Schlaf nach ihren Müttern, ein Mädchen weinte die ganze Nacht lang vor Schmerzen, und ich heulte so unauffällig wie möglich mit.
Das eigene Kind leiden zu sehen, ist wieder einmal eine ganz neue Gefühlsdimension, die mit dem Baby auf die Welt gekommen ist. Es zerreißt dich, wenn dein Kind dich anschaut, erschrocken, weil es nicht versteht, warum du ihm nicht hilfst und warum es Schmerzen hat, obschon du bei ihm bist.
Wie schafft man es, stark zu bleiben? Ruhe zu bewahren und auszustrahlen? Ich weiß nicht, ob ich dem, was da noch auf mich zukommt, gewachsen bin. Ob ich es schaffe, meinem Kind in seinem Leid, das ich ihm nicht werde ersparen können, als zuverlässiger Halt zur Seite zu stehen? Ich muss ein Fels in der Brandung sein, aber ich bin schon nach einer Mittelohrentzündung ein Wrack.
Mir graut es
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