Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
unseres Sohnes haben eine Tendenz zur Lockenbildung am Hinterkopf, besonders bei hoher Luftfeuchtigkeit. An einem schwülen Sommertag sehen Mutter und Sohn Kürthy gerne mal aus wie gerupfte Küken mit Dauerwelle.
Schlomo ist derzeit blond, so wie ich und mein Mann früher auch. Das ist bedauerlich, aber ich hoffe, das ändert sich noch im Laufe der ersten Jahre. Denn Männer mit blonden Locken haben es nicht leicht im Leben.
Sie sehen aus wie Thomas Gottschalk, die Mädchen laufen ihnen in Scharen nach und finden sie «süüüß!», und auf Partys müssen sie sich von beschwipsten Frauen Fragen gefallen lassen wie: «Sag mal, Engelchen, hast du etwa auch blonde Schamhaare?»
Und wenn blonde Männer ergrauen, sieht das immer irgendwie so aus, als würden sie obenrum verschimmeln.
Eventuell ist es etwas früh, sich darüber Sorgen zu machen. Aber zwanzig, dreißig Jahre sind schnell vergangen. Am liebsten würde ich ja auch jetzt schon die Schnittchen vorbereiten, die ich meinem Jungen in kurzen Abständen und ohne Anklopfen in sein Zimmer bringen werde, sobald er mit seinem ersten Damenbesuch darin verschwindet.
Aber sei’s drum, Schenkel, Haare, Pigmentierung – das alles sind Äußerlichkeiten, auf die man ja bekanntermaßen sowieso nicht so viel Wert legen soll.
Jedoch, auch die Persönlichkeit meines Kindes trägt einige Züge, für die ich verantwortlich bin. Er ist beispielsweise kein Freund übergroßer Anstrengung.
«Halt ihm doch was vor die Nase, was ihn interessiert. Dann wird er schon loskrabbeln.» So lautete der Rat meiner resoluten PEKiP-Gruppenleiterin.
Ich lockte mit bunten Tüchern, Bauklötzen und pädagogisch fragwürdigem Plastikspielzeug.
Aber Schlomuckel interessiert sich nicht für Dinge, die außerhalb seiner Reichweite liegen oder deren Erreichen mit für ihn unakzeptablen Mühen verbunden ist.
Er ist, um es freundlich auszudrücken, eher der gemütlichbedächtige Typ. Während mehr als die Hälfte der Kinder in seiner Gruppe schon krabbelt oder robbt, um die Welt zu erkunden, wartet mein Kind unaufgeregt in entspannter Bauchlage, bis etwas Interessantes so nah an ihm vorbeikommt, dass er nur die Hand danach ausstrecken muss.
«Das ist doch ein sehr effizientes Verhalten», versuchte mich die Mutter von Amelie zu trösten, während ihr Blick stolz ihrer Tochter folgte. Die krabbelte gerade mit einhundertzwanzig Stundenkilometern an meinem faulen Sohn vorbei und verpasste ihm dabei einen lässigen Tritt.
Was ihn allerdings auch nicht interessierte.
«Ist doch toll, der Junge ist Natur-Buddhist!» So die Diagnose von Mona, die sich ja nun allerdings überhaupt nicht mit Kindern auskennt. «Die spricht ja schon in ganzen Sätzen», hatte sie neulich anerkennend zur Mutter einer Sechsjährigen gesagt.
«Bewegungstalent ist größtenteils genetisch veranlagt», meinte die PEKiP-Chefin streng in der gestrigen Stunde. Und ich murmelte beschämt was von «aktive Zumba-Kurs-Teilnehmerin und Ehrenurkunde bei den Bundesjugendspielen 1981» und wedelte beschwörend mit einer roten Fliegenklatsche vor der Nase meines Sohnes herum.
Ich schubste ihn von hinten, zog ein bisschen von vorne. Nichts. Der rührte sich nicht vom Fleck. Hatte sich offensichtlich gerade gedacht: «Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?», und sich in das Studium seiner eigenen Hände vertieft. Die hat man ja immer dabei, und sie sind somit das ideale Spielzeug für die gemächlich strukturierte Persönlichkeit.
Die Leiterin der Gruppe sagte beschwichtigend: «Wahrscheinlich kann er dafür etwas anderes besonders gut.»
Was sollte ich denn da sagen? Etwa: «Er macht in seinem Jurastudium schöne Fortschritte»?
Johanna riet mir dringend, nicht nervös zu werden. «Beim zweiten Kind habe ich das Vergleichen und Spekulieren aufgegeben. Manche krabbeln mit sieben, manche mit zehn Monaten. Andere wiederum krabbeln überhaupt nicht, sondern stehen irgendwann auf und gehen los. Einige sehen mit einem halben Jahr aus wie kleine, dicke, verwarzte Kröten und tragen achtzehn Jahre später einen Lackledermini von Prada auf dem Cover der amerikanischen ‹Vogue›. Mein jüngster Sohn sagte bis zu seinem zweiten Lebensjahr nur ein Wort, und zwar Kaka. Mittlerweile ist er fast sechs und belästigt mich nahezu rund um die Uhr mit seinem riesenhaften Wortschatz. Also, reg dich ab.»
«Aber die Mutter von Mia hat mich erst gestern gefragt, ob ich es normal fände, dass mein Sohn mit fast acht Monaten
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