Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
lagen.
Ich pichelte und kicherte ständig vor mich hin, während Gregor Kremp über Schauspieler lustige Sachen sagte wie: «Ob wir Othello geben oder einfach nur einatmen – die Leute müssen es mitkriegen.»
Und als Frau Böttinger sich unvermittelt an mich wandte, dem Publikum erklärte, dass ich gerade einen neuen Roman geschrieben, ein Kind geboren und abgestillt hätte und nun zum ersten Mal wieder Alkohol tränke, und freundlich fragte: «Wie geht es Ihnen, Frau von Kürthy?», rief ich fröhlich und untermalt mit weit ausladenden Armbewegungen: «Bestens! Von mir aus kann die ganze Runde nach Hause gehen. Ich mach dann hier alleine weiter. Ich finde, wenn man schon mal im Fernsehen ist, dann soll sich das auch lohnen!»
Das Publikum spendete irritiert Beifall.
Und als ich zum Schluss der Sendung von der Moderatorin gebeten wurde, ein Wort zu sagen, das mich am besten beschreibt, fiel mir nichts Besseres ein als: «Prost!»
Ja, ich denke, dieser Auftritt war mehr als gelungen.
Zu Hause an der Babyfront ist alles ruhig, versicherte mir der Ehemann per SMS.
Meine erste Nacht ohne Kind! Was für eine Wonne! Was soll ich damit bloß anfangen? Ausgehen? Spätfilm? Frank anrufen, der vor zwanzig Jahren mal mein Verehrer war? Mit meiner Freundin Anke bis zum Morgengrauen Gin Tonic saufen und von den Zeiten schwärmen, als wir noch keine Mütter waren?
Herrlich, was für ein bunter Strauß von Möglichkeiten! Diese Freiheit, wie ich sie vermisst habe. Und verdammt noch mal, ich werde sie nutzen!
Zwei Minuten nach elf mache ich das Licht aus.
«Und was bleibt noch zu sagen? Die letzten an mich gerichteten Worte meiner Mutter: ‹Du musst mehr Obst essen.› Nicht einmal das habe ich wirklich befolgt. Eine Krankenschwester, die viel mit Sterbenden zu tun hat, erzählt, dass es die letzten ‹großen Worte› Sterbender nicht gibt. Die Sterbenden rufen nach ihrer Mutter. Männer wie Frauen.»
SILVIA BOVENSCHEN
20. Dezember
M ein Kind ist fast acht Monate alt.
Heute ist mein Hochzeitstag.
Heute ist ein schrecklicher Tag.
Mein Handy klingelte um kurz nach fünf. Ich hatte gerade mit meinem Freund Philipp Kaffee getrunken und schlenderte mit ihm durch die weihnachtsbeleuchtete Innenstadt. Abends wollte ich mit meinem Mann essen gehen.
Ich bemerkte zwar, wie die Hormon-Watteschicht um mich herum langsam endgültig verschwand und wie das Leben, ich meine das wahre Leben, wieder nach mir griff, aber noch befand ich mich einigermaßen wohlbehütet in dem Kokon, der Mütter und ihre Neugeborenen sanft umschließt.
Bis zu diesem Moment.
Als ich die Stimme meiner Cousine hörte, wusste ich sofort, was passiert war. Obwohl ich nicht eine Sekunde lang damit gerechnet hatte. Plötzlich wusste ich, dass ich die Zeichen übersehen hatte, weil ich genauso empfunden hatte, wie meine Freundin Britta wenig später sagte: «Aber das kann doch nicht sein! Sie war doch immer da!»
Noch am Telefon verlor ich die Fassung. Ich weinte, haderte, rief dumme Sachen, die mit «Aber!» und «Wieso das denn?» begannen, und wusste gleichzeitig, wie lächerlich das war.
Als ich auflegte, sagte ich zu Philipp: «Meine Tante ist tot.»
Und Philipp sagte: «Und ich dachte schon, es sei was Schlimmes passiert.»
Er hat ja recht. Wenn betagte Tanten sterben, fällt das wirklich unter «der Lauf der Dinge». Sie war lange krank gewesen, ein Wunder, dass sie überhaupt so alt wurde. Sie hatte fast alle ihre Geschwister, inklusive meiner Mutter, um viele Jahre überlebt.
Als meine Mutter im Sterben lag und ihre Schwester Hilde das Krankenzimmer betrat, sagte sie: «Na, jetzt kann ja nichts mehr schiefgehen.» Der ironische Unterton war nicht zu überhören.
Als ich meine Tante Hilde vor einem Monat das letzte Mal besuchte, es war kurz nach ihrem dreiundsiebzigsten Geburtstag, war sie zu schwach gewesen, um aufzustehen.
«Was ist denn los, Tante Hilde?», hatte ich etwas ungehalten gefragt. «Hast du schlecht geschlafen? Es ist doch schon bald elf!»
Ich kannte sie nur auf ihrem roten Sofa sitzend, energisch Hof haltend, niemals müde, niemals leise, immer voller Liebe für die, die sich von ihr lieben ließen. Dazu gehörte ich.
Sie sagte leise, fast beschämt: «Ich bin irgendwie müde.» Schlominsky betrachtete fasziniert ihr orthopädisches Bett, das sie ihm zuliebe immer wieder rauf- und runterfahren ließ. Sie streichelte ihn. Erst jetzt begriff ich, dass sie zu schwach gewesen war, ihn zu halten.
Nicht im Traum wäre mir
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