Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
gestern Vormittag fertig gekauft. Mit Schlomo auf dem Arm stand ich in der kilometerlangen Schlange an der Kasse und betrachtete vorweihnachtlich milde gestimmt das geschäftige Treiben. Ich nickte freundlich hierhin und dorthin.
Bis ich wahrnahm, dass die Blicke, die mich trafen, nicht getränkt waren von vorweihnachtlicher Nächstenliebe.
Jetzt bemerkte auch ich es. Es hatte eine Zeitlang gedauert, bis sich der Geruch durch meine abgehärteten Nasen-Schleimhornhäute durchgefräst hatte. Dann aber traf mich der Gestank wie ein Schlag.
Der Schlomenberger schaute lächelnd in die Menge. Wie kann ein so kleiner Mensch so bestialisch stinken? Das fragte ich mich, während ich hektisch und vergebens nach einem anderen Kleinkind in der Nähe Ausschau hielt, um es anklagend anzustarren und ihm die Schuld in die Windel zu schieben. Leider kein Kind weit und breit.
Die ersten Leute hielten sich die Nase zu. Die Frau hinter mir murrte: «Eine frische Windel wäre vielleicht nicht schlecht.»
Was sollte ich tun? Rausgehen und Weihnachten ohne Kekse und Rotkohl feiern? Oder aber riskieren, dass der Laden, womöglich der ganze Stadtteil, evakuiert werden müsste?
In diesem Moment wurde eine zweite Kasse geöffnet, und ich wurde bereitwilligst vorgelassen.
Den anschließenden Windelwechsel zu Hause hätte ich wirklich filmen sollen, damit so ein Kind mal ein Gespür dafür bekommt, was man als Eltern alles so durchmachen muss, bis es groß ist, sprechen, multiplizieren und allein in die Toilette kacken kann.
Es handelte sich um einen sogenannten Rückenkrabbler – ein Fachterminus aus der Welt der undichten Babys, die ihre Windeln sprengen und denen der Kot bis zur Halskrause «hochkrabbelt». Wieder was dazugelernt.
Unter dem Weihnachtsbaum ist kein Platz mehr. Natürlich hat sich niemand an die Vorgabe gehalten, Schlominsky nur ein Geschenk zu machen. Wir auch nicht.
Das hatte zur Folge, dass unser Kind in einem großen Haufen Geschenkpapier verschwand. Der Kleine war rundum begeistert von bunten Schleifen, knisternden Folien und geheimnisvollen Schachteln.
Mein Rat für alle Eltern von Kindern bis zu anderthalb Jahren: Schenken Sie ausschließlich Verpackungsmaterial.
Frohe Weihnachten!
«Ich habe meine drei Kinder beobachtet und eindeutig
festgestellt: Je mehr sie ignoriert wurden, umso besser.»
TOM HODGKINSON
2. Januar
U nfassbar: Mein Sohn hat schon wieder eine Kleidergröße mehr! (Nun ja, ich auch, aber das wollte ich an dieser Stelle eigentlich nicht thematisieren.)
Heute Morgen hörte ich fremdartige Geräusche aus seinem Zimmer. Als ich nachschaute, stand Schlomo frohlockend in seinem Bettchen. Zum ersten Mal. Ein stehendes Kind! Ich fiel fast um vor Schreck.
Seit einer Woche robbt er hurtig durch die Gegend wie ein Soldat in der Grundausbildung. Wenn das so weitergeht, wird er bald ausziehen und uns nur noch an hohen Festtagen besuchen. Mir blutet das Mutterherz bei dieser Vorstellung.
Habe heute jedoch in der Zeitung eine aufmunternde Meldung gelesen und ausgeschnitten:
Junge Deutsche tun sich schwer mit dem Ausziehen aus dem «Hotel Mama». Im Jahr 2010 wohnten in Deutschland 64 Prozent der 18- bis 24-Jährigen noch bei ihren Eltern, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Dienstag berichtete. Vor allem Söhne können sich kaum vom Elternhaus trennen: Während nur 57 Prozent der jungen Frauen bis 24 Jahre noch bei ihren Eltern lebten, waren es 71 Prozent bei den jungen Männern.
Das ist, aus meiner Sicht, ein sehr erfreulicher Trend! Ich finde, Selbständigkeit wird heutzutage absolut überbewertet, und ich wüsste nicht, was dagegen spräche, einem 24-Jährigen sein Käsetoast in mundgerechte Häppchen zu zerteilen. Mama macht das doch gern.
«Das Leben mit Kind ist eine
fast schon stupide Lebensform.»
CORINNE MAIER
3. Januar
D ie Zukunft meines Sohnes ist fürs Erste gesichert. Habe heute die Bestätigung für einen Krippenplatz bekommen. Ende April, kurz bevor er ein Jahr alt wird, beginnt die Eingewöhnungsphase, und wenn alles glattläuft, wird er vier Wochen später sechs Stunden pro Tag fremdbetreut.
Fremdbetreut. Irgendwie kein schönes Wort. Trotzdem klingt es wie Musik in meinen Ohren.
Denn bei aller Liebe ist die Rund-um-die-Uhr-Beschäftigung mit einem Menschen, der nichts lustiger findet, als wenn ich laut und schrill «Schnuuuuuurzipuuuurziiii» brülle, mich auf ihn stürze und dann auf seinem nackten Bauch mit meinen Lippen groteske
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