Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Titel: Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
Vom Netzwerk:
meines Sohnes. Ich hätte also, sollte ihm einfallen, eine neue Existenz mit einer dünnen Blonden gründen zu wollen, nicht nur Angst vor dem Alleinsein, sondern, viel mehr noch, vor dem Alleinerziehendsein. So allgegenwärtig, so nahezu selbstverständlich es auch ist, in Patchworkfamilien zu leben, Papa-Wochenenden und Unterhaltsverpflichtungen auszuhandeln – mir wird erst jetzt bewusst, was man verliert, was alle verlieren, wenn Eltern auseinandergehen.
    Ich bewundere und ich bemitleide Gina, die Tag für Tag und Nacht für Nacht allein mit ihrem Sohn und der Verantwortung für ihn ist. Sie kann die täglichen kleinen Sorgen nicht teilen und nicht das Glück, nicht die plötzliche Angst. Und die Momente, in denen ihr Sohn aussieht wie sein Vater, rühren sie nicht.
    Sie tröstet ihren Jungen, wenn er Sehnsucht nach seinem Vater hat, der ihn wieder nicht abgeholt hat. Sie tröstet ihren Jungen, wenn sie es mal wieder nicht vermeiden konnte, dass er seine streitenden Eltern im Treppenhaus hören konnte.
    Und so ganz nebenher arbeitet sie ja auch noch halbtags, wäscht, kocht, putzt, kauft ein, geht zum Kinderarzt, durchwacht Nächte am Kinderbett, bestückt Adventskalender und besucht einen Kinderpsychologen, weil sie fürchtet, dass das vaterlose Aufwachsen, das viele Hin und Her und der Streit nicht spurlos an ihrem Jungen vorbeigehen werden.
    Es ist aufwühlend, ein Kind zu haben. Es hat seinen Sinn, dass man dabei zu zweit ist, und ich möchte es gern bleiben. Ich sollte vielleicht meinen Charakter etwas partnerschaftstauglicher gestalten. Zumindest aber neue Schlafanzüge kaufen.

«Erziehung ist Atmosphäre,
    weiter nichts.»
    THOMAS MANN
    1. März
    J etzt ist es an der Zeit, sich um eine Sache verstärkt zu kümmern: die Verwandlung der eigenen Wohnung in einen Hochsicherheitstrakt.
    Aus rein ästhetischen Gesichtspunkten handelt es sich hierbei nicht um eine positive Veränderung. Sowohl Mütter als auch Immobilien neigen dazu, sich durch die Anwesenheit eines Babys in praktische, durchdachte Zonen zu verwandeln, bei denen auf unnötigen oder gar gefährlichen Schnickschnack wie Halsketten, Ohrringe, Bodenvasen und feingeschliffene Kristallglaskerzenständer auf kniehohen Beistelltischen verzichtet wird.
    Es ist nämlich so, dass sich der kniehohe Mensch generell nicht für das für ihn vorgesehene Spielzeug interessiert. Man kann zum Beispiel davon ausgehen, dass sich ein Kind, das sich zeitgleich in einem Raum mit sechs Teddybären, einer Kugelbahn, zwei Bobbycars und einem schweineteuren, nagelneuen Mobiltelefon mit integrierter Tausend-Megapixel-Kamera befindet, sich auf der Stelle auf das Handy stürzen und ausprobieren wird, wie bruchsicher eigentlich das Display ist.
    Die besonders neunmalklugen unter den Eltern – zu denen gehöre ich – rennen dann augenblicklich zum nächstgelegenen Baby-Markt, um dort ein Baby-Handy zu kaufen. Bunt, strapazierfähig, und wenn man auf die Taste mit dem Hörersymbol drückt, dann sagt es «Hallo» oder «Dingeldingelding». Mein Sohn schenkte der Telefonattrappe gerade mal eine halbe Minute Aufmerksamkeit. Dann durchschaute er das Ablenkungsmanöver, bedachte mich mit einem Blick voller Verachtung und robbte anschließend würdevoll und dennoch zügig auf die Stereoanlage zu.
    Wenn man also nicht den ganzen Tag «Finger weg, du doofes Baby!» schreien, sich panisch zwischen Treppenabsatz und Kind schmeißen und Schmuckstücke sowie technisches Gerät zu teuren Reparaturen bringen will, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich selbst und die Wohnung kindgerecht zu gestalten.
    Das zehn Monate alte Kind ist, ähnlich wie ein Hefekuchen, ein wunderbares, allerdings völlig unkalkulierbares Geschöpf. Es bewegt sich, jedoch ohne zu wissen, wohin. Leider wächst mit der zunehmenden Mobilität des Babys der Verstand nicht proportional mit.
    Mein Sohn freut sich jeden Tag aufs Neue, dass er nicht nur krabbeln, sondern sich auch an Tischdecken hochziehen, an wackeligen Handtuchständern entlanghangeln und sich seinem Vater wie ein liebestoller Terrier ans Bein klammern kann.
    Jetzt beginnt die Phase – und mir wurde von erfahrenen Müttern angedeutet, sie würde etwa fünfundzwanzig Jahre dauern –, in der man sich nach der Zeit zurücksehnt, als das Kind ein Säugling war und nur rumliegen und schreien konnte. Leider wusste man diesen Zustand damals nicht zu schätzen, weil man keine Vorstellung hatte, was die Zukunft bringen würde.
    Jetzt schreit das Kind

Weitere Kostenlose Bücher