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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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Wege.
    Allein geblieben, schaute sich Ar-Scharlachi betrübt um. Das vom Regen gewaschene Grün, das die kleinen Stampflehmhöfe in reichem Maße füllte, kroch über die Mauerkronen auf die Gasse. Die letzten friedlichen Tage von Ar-Ajafas Schatten … Später würden die Nacktfressen hier einfallen – eine schreckliche Vorstellung, was dann hier los sein würde. Ar-Scharlachi fluchte verhalten und ging weiter. Die Straße war menschenleer, irgendwoher aus der Ferne erklangen ab und zu das einmütige Klirren von Metall und Iliysas heisere Kommandostimme. Bis zum Marktplatz waren es nur ein paar Schritt.
    Um den Weg abzukürzen, bog Ar-Scharlachi in einen schmalen Spalt zwischen Stampflehmwänden und blieb abermals stehen. Vor ihm lag die Gasse etwas höher und war getrocknet, dort versperrten den Weg vier nebeneinanderliegende Körper in blut- und schmutzbefleckten weißen Kitteln. Über ihnen erstreckte sich über die ganze Breite der geweißten Wand ein krakeliger Schriftzug, wohl mit Erdöl aus der Lampe ausgeführt: »Haben für Harwa spioniert«.
    »Herrscher!« Der Anführer der Wache war sehr aufgeregt. »Ich bitte dich, das Haus künftig nicht mehr ohne Leibwache zu verlassen …«
    »Ich bin zusammen mit Kahirab vom Hafen gekommen«, erklärte Ar-Scharlachi. »Wir haben uns buchstäblich ein Dutzend Schritte von hier getrennt.«
    »Trotzdem«, bemerkte der Wächter sehr ernst. »Kahirab hat unbedacht gehandelt, als er dich allein ließ – und sei es auch nur ein Dutzend Schritte. Und außerdem – zwei Klingen sind sehr wenig.«
    »Was sollte ich denn fürchten? Wir sind doch nicht in Harwa!«
    »Trotzdem«, beharrte er. »Wer weiß, was …«
    »Na gut, gut«, beruhigte ihn Ar-Scharlachi und ging in das aufgeräumte Schlafzimmer, wo auf dem Boden keine leeren Krüge mehr lagen und auch keine Scherben davon. Er setzte sich auf die Kissen, runzelte leidvoll die Stirn und rief sich wieder dieses schreckliche Bild in Erinnerung. »Haben für Harwa spioniert«. Selbst wenn sie spioniert haben … Er ließ den Blick sehnsuchtsvoll durch die Winkel schweifen, sah aber nirgends Wein. Aliyat hatte den Stoff wohl weiter fortbringen lassen. Ich habe nie so viel getrunken wie jetzt, dachte Ar-Scharlachi verloren. Nicht einmal, als ich in Harwa studiert habe …
    Da fiel ihm die unlängst überreichte Bittschrift ein, und er holte die Schriftrolle aus dem Gewand hervor. Betrachtete sie irritiert. Teures Pergament, an der Schnur hängt ein Siegel … Ach, das Kamel soll dich treten – das ist doch ein Staatssiegel! Ar-Scharlachi riss die Schnur ab und entrollte das Pergament. Er las es, glaubte es nicht, las wieder …
    In diesem Zustand, starr vor Staunen, fand ihn Aliyat vor, als sie vom Hafen zurückkehrte.
    »Ich habe ihn fortgeschickt!«, erklärte sie triumphierend. »Da ist nicht mal mehr Platz für Kriegsschiffe, und er kommt mit seinen …« Das letzte Wort sprach Aliyat kaum hörbar aus, und es war sicherlich nicht anständig. Dann bemerkte sie, dass Ar-Scharlachi ihr mit abwesendem Gesichtsausdruck zuhörte und dass auf seinen Knien eine Schriftrolle mit Schnur und Siegel lag.
    »Doch nicht etwa ein Edikt?«, erkundigte sich Aliyat spöttisch und setzte sich ihm gegenüber.
    »Ein Edikt«, brachte er langsam heraus und schaute sie unverwandt und besorgt an. »Aber nicht von mir. Es ist ein Edikt Ulqars …«
    »Woher?«
    »Irgend so ein Alter hat es mir überreicht. Ich dachte, es ist eine Bittschrift …«
    »Ja bist du denn wahnsinnig geworden?«, fiel Aliyat plötzlich über ihn her. »Nimmt eine Schriftrolle aus Harwa, macht sie auf! Und wenn sie vergiftet ist? Was dann?«
    Ar-Scharlachi schaute mechanisch auf seine Handflächen, betrachtete die Fingerkuppen. »Nein, wohl nicht … Lies doch!« Er reichte ihr das Pergament.
    Aliyat warf ihm einen misstrauischen Blick zu, sie schien gekränkt zu sein. »Lies selber!«
    Da ging Ar-Scharlachi auf, dass Aliyat offensichtlich mit dem Lesen auf Kriegsfuß stand, obwohl sie in Redensarten die Buchstaben »Alq« und »Bin« zu erwähnen pflegte. Er rollte das Schriftstück auseinander und las langsam, abermals über jedes Wort staunend:
    »Ulqar, Herrscher und Gebieter des Einigen Harwa, der Unerforschliche und Unsterbliche, befiehlt seinem Diener Scharlach, die Fahrt nach dem Meerwasser fortzusetzen, und erhebt seinen Diener Scharlach für seine künftigen Verdienste in den Rang eines Karawanenführers …« – hier stockte Ar-Scharlachi und warf einen

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