Unter dem Räubermond
und wartete, dass er das Gespräch beendete. Die Metallschildkröte begann mit klirrender Stimme zu singen, zu winseln. Jemand rechtfertigte sich für irgendetwas. Kahirabs Miene verfinsterte sich mit jedem Wort. Dann stieß er eine ziemlich melodische Drohung aus und schaltete das Gerät aus. Ein paar Sekunden lang saß er reglos da, die Augen blicklos auf Ar-Scharlachi gerichtet.
»Wie gefällt dir das?«, erkundigte er sich schließlich in hölzernem Ton. »Harwas Karawanen sind schon unterwegs. Dies zum Ersten. Zweitens: Sie sind an Ar-Ajafa vorbeigefahren. Sie folgen uns.«
»Und was bedeutet das?«, fragte Ar-Scharlachi vorsichtig.
Kahirab seufzte, schob die biegsame Rute in den Schildkrötenkörper und wog das Gerät in der Hand.
»Es bedeutet«, sagte er, »dass in einem der Schiffe jemand mit genau so einem Ding sitzt und mich einfach abhört … Wie sollten sie denn sonst erfahren haben, dass wir nicht mehr in Ar-Ajafa sind?«, brauste er auf. »Und das ist ja noch nicht alles! Wie sich zeigt, ist ein Drittel der Spiegelkämpfer Harwas – ein Drittel! – mit den neuen Schilden ausgerüstet …«
»Das heißt, es steht schlecht um uns?«, fragte Ar-Scharlachi leise.
Für einen Moment überlegte Kahirab besorgt, dann hob er den Blick aus schwarzen, unheilvoll belustigten Augen. »Im Gegenteil! Übertrieben haben es die Schlauberger, übertrieben … Jetzt sieht auch ein Blinder, was vor sich geht. Tamuori und seine Bande intrigieren gegen Tiangi, und jetzt schon ganz offen. Weißt du, Ulqar ist ihr Mann … Kurzum, du kannst davon ausgehen, dass sie alle kaltgestellt sind. Ani-Tamahi hat keinen Sinn für derlei Spielchen.«
»Ich habe ja nicht nach Tiangi gefragt«, erinnerte ihn Ar-Scharlachi noch leiser. »Ich habe dich gefragt, wie es um dich und mich steht. Schlecht?«
Kahirabs Miene verdüsterte sich. »Na ja …«, ließ er sich widerwillig vernehmen. »Nicht gerade ganz schlecht … Außer dem, wovon ich letztes Mal gesprochen habe, gibt es ja auch noch Ausweichmöglichkeiten.«
»Zum Beispiel?« Ar-Scharlachi war beunruhigt. Von Tiangi und seinen Leuten erwartete er schon lange nichts Gutes mehr für sich.
»Zum Beispiel, Kimir um Hilfe zu bitten.«
»Dort habe ich einen schlechten Ruf. An der Grenze habe ich zwei Karawanen aufeinandergehetzt.«
»Weiter nichts?« Kahirab lachte. »Aber entschuldige, wer warst du damals? Ein Räuber? Und wer bist du jetzt? Du bist der Gebieter des Palmenwegs. Jetzt kannst du sowohl mit Ulqar als auch mit Gortka von gleich zu gleich sprechen.«
»Ja, aber Gortka wird ja eine Gegenleistung verlangen …«
»Nichts wird er verlangen. Er braucht selber dringend einen Verbündeten gegen Harwa. Und dann – je nachdem, wie man die Verhandlungen führt … Um das Kräfteverhältnis auszugleichen, brauchen wir eigentlich fünfzehn komplett ausgerüstete Kriegsschiffe, nicht mehr.«
»Das ist eine ganze Flotte«, bemerkte Ar-Scharlachi.
»Ja, ist denn ein Verbündeter keine Flotte wert?«, fragte Kahirab nachdenklich. »Noch dazu ein Verbündeter und Verwandter …«
»Wie bitte?«
»Ein Verbündeter und Verwandter«, wiederholte Kahirab. »Was starrst du mich so an? Wenn Gortka dir seine Nichte zur Frau gibt (ich glaube, sie ist jetzt vierzehn), wird er verpflichtet sein, für ihre Sicherheit zu sorgen …«
Ar-Scharlachi verschlug es die Sprache. Diese Eigenheit des Herrscherlebens war ihm bisher entgangen. Der Samum holperte, und jemand fiel draußen mit dem ganzen Körper weich gegen die Zwischenwand.
»Das Kamel soll sie treten!«, fluchte Ar-Scharlachi außer sich. »Lauschen, oder was?«
Er stand auf und riss die Tür auf. Das Erste, was er sah, waren die erstaunten, unbarmherzig zusammengekniffenen Augen Aliyats.
32
Die Nacht vor der Schlacht
D ie vom Samum angeführte Armada floss den Palmenweg entlang nach Osten, nahm immer neue und neue Karawanen auf. Die beiden Flottillen Harwas aber, die ihr auf den Fersen folgten, schmolzen dahin. Es brachen Räder, die zurückgebliebenen Schiffe mussten in die Häfen verwaister Oasen einlaufen, wo nur noch Alte, Frauen und Kinder lebten, und oft wurde der Aufenthalt dort für die Nacktfressen zu ihrem letzten. Die Geschichten, die später ans Tageslicht kamen, waren schrecklich, aber im Grunde immer die gleichen: Palmwein, eine eingeschlafene oder von Frauen abgelenkte Wache, sich lautlos anschleichende Alte und Halbwüchsige mit Klingen in den Händen, dünn wie ein Stachel … Der Ausgang solcher
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