Unter dem Räubermond
– ihm war Tiangi mit der Schnur in den Händen eingefallen. »Anstatt einen Pinsel oder eine Feder zu nehmen und zu schreiben, knüpft ihr lauter Knoten als Gedächtnishilfe …«
»Du hast recht«, stimmte Kahirab ruhig zu. »Wenn man es bedenkt, ist das auch Unsinn. In zweihundert Jahren haben sich bei uns so viele Knotenschnüre angesammelt, dass sie sicherlich um die ganze Erde reichen würden. Aber das ist eben wieder die Tradition, nichts zu machen … Es gibt eine Regel: Alle offiziellen Dokumente werden in Knotenschrift aufgesetzt. Obwohl doch eigentlich nichts leichter wäre, als sie einfach zu diktieren …«
»Wem?«, fragte Ar-Scharlachi verständnislos.
»Nicht wem, sondern worauf«, berichtigte ihn Kahirab und verwirrte alles vollends.
Ar-Scharlachi strich sich bekümmert mit der Faust über den Nasenrücken. Er hatte etwas sehr Wichtiges fragen wollen … Bei all seiner Offenheit verstand es Kahirab meisterhaft, das Gespräch auf Abwege zu bringen.
»Ja! Was ist mit Kimir?«, erkundigte sich Ar-Scharlachi hastig, als es ihm wieder eingefallen war. »Auf Deck reden sie, Gortka habe unseren Gesandten schon empfangen …«
»Seltsam …« Kahirab wunderte sich oder täuschte Verwunderung vor. »Woher können sie davon erfahren haben?«
»Ist es nun wahr oder nicht?«
»Natürlich ist es wahr. Und das mit der Botschaft Gortkas an Ulqar auch. Du kannst also davon ausgehen, dass unser Hinterland vorerst sicher ist.«
»Erlaube!«, ereiferte sich Ar-Scharlachi plötzlich. »Wie hat denn Gortka unseren Gesandten ohne Beglaubigungsschreiben empfangen können?«
»Tja …« Kahirab bewegte unbehaglich die Brauen. »Wie soll ich sagen … Kurzum, die Urkunden mussten direkt dort ausgefertigt werden, vor Ort.«
»Und meine Unterschrift?«
»Auch …«
Ar-Scharlachi musterte Kahirab mit verständnislosem Zorn, sagte aber nichts, sondern schnaufte nur und schickte sich an, einen Krug aus dem Schrank zu holen. Selbst Aliyat war seinerzeit nicht derart unverfroren mit ihm umgegangen. Kahirab folgte mit beunruhigtem Blick der Hand des Gebieters, die sich zur Schranktür ausstreckte, und da er anscheinend fürchtete, man werde ihm gleich das verhasste Getränk einflößen, verabschiedete er sich eilig.
Ar-Scharlachi hatte höchstens zwei Schluck trinken können, als die Tür der Kajüte wieder geöffnet wurde. Anscheinend hatte Aliyat die ganze Zeit in dem kleinen Korridor gewartet, dass sich Kahirab endlich davonmachte.
»Ist er weg?«, fragte sie feindselig und warf, wie sie es sich unlängst angewöhnt hatte, Blicke in die Ecken. Sie kam herein, schloss die Tür hinter sich, setzte sich Ar-Scharlachi gegenüber und betrachtete ihn wütend. »Und?«, erkundigte sie sich bissig herausfordernd. »Mit wem hat er dich noch verkuppelt?«
Er verschluckte sich, verschüttete etwas Wein und stellte die Schale auf den Boden. »Hör mal! Was soll denn das? Erst mit diesem Kaufmann, dann …«
»Mit dem Kaufmann?« Aliyat blinzelte böse. »Ich würde mich nicht wundern, wenn Kahirab den nach Ar-Ajafa gelotst hätte … mit den Mädchen für unser aller Vater Scharlach«, konnte sie sich nicht verkneifen hinzuzufügen.
Ar-Scharlachi fuhr auf, und ein paar Augenblicke lang starrten sie einander in die Augen. Schließlich wurde es ihm peinlich, er runzelte die Stirn und wandte den Blick ab.
»Lass doch sein …«, murmelte er und hob die Schale wieder an den Mund. »Man könnte meinen, Kahirab habe nichts anderes zu tun, als dich zu ärgern …«
»Dem war ich gleich ein Dorn im Auge«, brachte sie gedrückt hervor. »Und du bist auch gut! Du hättest ihn einmal zum Kamel schicken sollen … durch die nickenden Hämmer hindurch! Mit dir machen sie, was sie wollen, und du …!«
»Du hast doch selber gesagt, dass Kahirab alles für mich erledigen würde …«
»Klar doch!« Sie ließ die Augen funkeln. »Die Nichte Gortkas bringt er dir beim Händchen, fehlt nur noch, dass er ihr für dich die Beinchen breitmacht!«
»Also hör doch auf! Letzten Endes warst du es, die gesagt hat, dass du mich liebst. Ich habe dir, glaube ich, nichts dergleichen gesagt und dir keine Treue geschworen!« Er stürzte den restlichen Inhalt der Schale hinunter und goss wieder nach.
»Geschworen oder nicht …«, sagte sie finster. »Wo ist der Unterschied?«
»Na weißt du!«, brachte er nur noch hervor.
Aliyat saß etwas gekrümmt da, und ihre Gedanken schienen unerquicklich zu sein.
»Vielleicht sollten wir wirklich
Weitere Kostenlose Bücher