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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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künftiger Schwiegervater Gortka der Erste – zweifellos ein großer Heerführer – auch als Räuber begonnen haben …
    Aus der Erstarrung rissen ihn ohrenbetäubendes Krachen, Knirschen und Heulen – dort vorn in den dichten Sandschwaden waren die Flotten aufeinandergetroffen. Takelagen verwirrten sich, Schiffsrümpfe neigten sich, Achsen und Masten brachen … Dann folgte das Gemetzel. Der Wind trieb den gelblichen Schleier weiter nach Nordwest und offenbarte das grausige Wirrwarr der Schlacht. Auf dem Samum stieg der vereinbarte Wimpel hoch, wieder ertönten knappe Kommandos, und beide Flügel der zweiten Linie setzten sich in Bewegung, um das allgemeine brodelnde Gefecht zu umgehen, den hinteren Karawanen Harwas entgegen. An die zehn Schiffe unter grünen Flaggen lösten sich aus dem Kampf und wurden sogleich von den Karawanen der Reserve angegriffen. Der Samum und die vier Schiffe der Leibwache standen noch immer unbeweglich. Der Wind flaute unversehens ab, und eine heiße, klebrige Woge von Geräuschen brach über Ar-Scharlachi herein: Klirren, Rufe, Ächzen, Krachen und das Heulen von vorerst noch nicht sichtbaren Flammen …
    Und das alles meinetwegen?, stellte sich ein unsicherer, stockender Gedanke ein. Stellte sich ein und verschwand wieder.
    »Wann?«, schrie irgendwo neben ihm Kahirab zornig. »Ich frage, wann ist er hier?«
    Ar-Scharlachi wandte sich um. Kahirab stand mit verzerrtem Gesicht da, drückte seine Metallschildkröte mit dem herausgezogenen Stab an den Mund. Als er die Antwort gehört hatte, fluchte er in seiner Sprache, melodisch und wütend, dann wandte er sich abrupt Ar-Scharlachi zu.
    »Wir fahren weg!«, warf er hin. »Nehmen die Leibwache und verschwinden! Wenn wir es schaffen, versteht sich …«
    »Warte«, brachte Ar-Scharlachi verblüfft hervor. »Wozu? Wir siegen doch …«
    »Sieger wird es nicht geben«, antwortete der andere finster. »Nur Leichen. Also lass uns keine Zeit verlieren …«
    »Was ist passiert?«
    »Ein Sandsturm«, sagte Kahirab und ließ gleich den Kopf hängen. »Er kommt genau auf uns zu …«
    Er trat an die Bordwand, blinzelte wehmütig und betrachtete den Horizont. Dann wollte er sich wohl umdrehen und den Signalgasten einen Befehl erteilen, doch in diesem Augenblick geschah etwas Seltsames. Es schien Ar-Scharlachi, dass jemand Unsichtbares Kahirab gegen die Brust stieß, und im nächsten Moment spritzte ihm etwas Heißes, Klebriges, widerwärtig Vertrautes ins Gesicht. Blut.
    Kahirab kippte langsam vornüber, und in seinem Rücken klaffte ein mitsamt einem Stück Kittel herausgerissenes faustgroßes Loch. Ar-Scharlachi machte unwillkürlich einen Schritt nach vorn und fasste ihn unter die Achseln, um ihn nicht aufs Deck stürzen zu lassen. Und erst als er das Gewicht des erschlafften Körpers spürte, begriff er, dass das kein Traum war und kein Fieberwahn.
    »Was ist mit ihm?« Die Stimme Aliyats, scharf wie ein Schlag des Wimpels.
    Ar-Scharlachi warf den Kopf hoch. Ringsum standen schon an die sechs Leute.
    »Runter!«, keuchte er und spähte vorsichtig über die niedrige Bordwand. Die toten Wellen flacher Dünen, weit und breit keine Bewegung, kein Fleckchen …
    »Tot«, sagte Aliyat ungläubig, die sich hingekniet hatte. »Womit hat es ihn nur erwischt?«
    Auf Kahirabs Brust trocknete, verdunstete der Blutfleck. Das Loch war nicht größer als ein Fingernagel. Solche Wunden hinterlässt für gewöhnlich ein Stilettstich.
    »In einen Teppich wickeln und in den Laderaum«, ordnete Ar-Scharlachi heiser an, während er vom Deck aufstand. »Die Leute an die Antriebstrommeln. Alle Luken dicht machen. Der Leibwache melden: Wir fahren ab …«
    »Abfahren? Wohin?« Aliyat sprach nicht zu Ende. Ar-Scharlachi folgte ihrem glasig gewordenen Blick und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. An dem weißlichen, ausgeglühten Himmel tat sich etwas Wunderliches. Es war, als krümme ein Märchendrache einen nach dem anderen kopflose dicke Hälse empor, während er von Norden herankroch, und die näher kommenden Auswüchse waren von staubgelber Farbe.
    »Ein Samum!«, ächzte Aliyat. »Alle nach unten! Ein Sandsturm!«
    Träge, als wolle er das Vergnügen ausdehnen, fraß der Staubdrache zunächst die Sonne und stürzte sich erst dann mit dem ganzen Gewicht seines braunen Wanstes auf die Wüste. Der Tag wurde zur schmutzigen Dämmerung, hinter der dünnen Holzverkleidung der Bordwände begann es zu brüllen, zu knirschen. Es gelang ihnen nur noch, das Schiff

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