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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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von einem stumpfen Gelb, und gegen Mittag erschien im Zenit ein graublauer Fleck. Und dieser Fleck breitete sich immer weiter aus, bis er gegen Abend das ganze Himmelsgewölbe einnahm. Da trat dann auch rechts von ihnen ein doppelter silberner Strang hervor, wie über die Dünen gespannt. Als Erster entdeckte ihn Gorcha, der darüber so erschrak, dass er sogleich zu Ar-Scharlachi gelaufen kam und es meldete.
    Ar-Scharlachi schob die Decksleute beiseite, die sich am rechten Bord drängten, betrachtete das neue Wunderding eingehend und stieß staunend einen Pfiff aus.
    »Was ist das?«, fragte Aliyat besorgt.
    »Das?« Er blickte um sich. »Das sind diese Rohre, durch die sie das Öl leiten. Da hat es uns aber weit verschlagen! Bis hinter die nickenden Hämmer …«

34
    Verzaubert
    A us der Nähe machten die Rohre einen ebenso verblüffenden Eindruck wie jene »Hämmer« oder etwa die riesige Metallkugel. Durch saubere Verarbeitung taten sie sich nicht hervor; alle paar Dutzend Schritte liefen ziemlich grobe Nähte um sie herum, irgendwo war die silbrige Farbe ungleichmäßig getrocknet und zusammengelaufen. Sie lagen auf Gitterstützen, die man ebenfalls ziemlich achtlos, wenn auch stabil zusammengeschweißt und dann anscheinend im Ganzen in Farbe getaucht hatte – nirgends ein Pinselstrich, nur Nasen.
    Ja, aber man brauchte nur zehn Schritt zurückzutreten und in beide Richtungen zu blicken, damit einem schon die schiere Masse Angst machte – wie viel Metall es sie gekostet hatte, um diese Rohre durch die ganze Wüste zu legen …
    Still geworden, standen sie da und betrachteten die furchterregende und wundersame Anlage. Man hörte, wie der Wind Sandkörner über die Dünenkämme wehte, die weißen Kittel und das lange Stück Stoff an der Lanze auf Kahirabs Grab flattern ließ. Die struppige, trunkene Sonne neigte sich dem Untergang zu.
    »Wenn wir also nach Norden fahren«, meldete sich Aliyat, »kommen wir zu den nickenden Hämmern … Und nach Süden?« Sie wandte sich zu Ar-Scharlachi um und fixierte ihn aus dunklen, plötzlich eingesunkenen Augen.
    Er blickte finster drein und antwortete nicht. In Gegenwart aller presste ihm Aliyat geradezu das verhängnisvolle Wort ab, das sie selbst nicht auszusprechen wagte. Er betrachtete die harten, besorgten Gesichter, fast bis zu den Augen hinter den Schleiern verborgen. Alle wussten genau, wovon die Rede war. Im Norden liegen die Berge, die Quelle des Lebens, die Heimat der Vorfahren. Im Süden aber – das Meer, das Totenreich … So war es sogar auf den Karten verzeichnet.
    »Nun ja …«, brachte er schließlich hervor, während er unzufrieden zu dem über den Sand ausgestreckten Schlangenpaar hinblinzelte, das zum Horizont hin schmaler wurde wie eine Lanzenspitze. Die heiße Luft zitterte, und es schien, als zuckten die erstarrten Schlangen leicht mit den Schwänzen. »Mit dem Palmenweg dürfte es vorbei sein, und ich bin nicht mehr euer Herrscher. Demnach sind wir wieder Räuber. Niemand verfolgt uns jetzt, also lasst uns im Kreis sitzen und miteinander reden …«
    Sie setzten sich gleich auf den Sand, nachdem sie im langen Abendschatten des Samum die Teppiche ausgebreitet hatten. An Bord ließen sie nur ein paar Mann zurück, obwohl auch diese Vorsichtsmaßnahme keinen Sinn hatte. Es würde kaum jemand wagen, so weit in die jedermann verbotenen Sande vorzudringen.
    »Lasst uns überlegen«, sagte Ar-Scharlachi missmutig. »Nach Westen führt kein Weg, wir kriegen den Samum unmöglich über die Rohre. Dieser Weg entfällt also. Schon einfacher … Wir können nach Osten fahren und dann nach Norden abbiegen, das heißt, auf demselben Weg zurückkehren, auf dem wir gekommen sind.«
    Die Sitzenden wechselten Blicke, jemand räusperte sich vorsichtig. Ulqar hatte seinen Karawanen, die zusammen mit dem Aufgebot des Palmenweges vernichtet worden waren, sicherlich Verstärkung geschickt. Jetzt zum Schlachtfeld zu fahren hieß, den Nacktfressen geradewegs in die Arme zu laufen. Man konnte sich natürlich weiter östlich halten, um die gefährlichen Sande zu umgehen, doch was nützte das? Die Bewohner der Oasen waren jetzt auf den Tod eingeschüchtert, sie würden einfach ihren ehemaligen Herrscher mitsamt seinen Komplizen ausliefern, um der Strafe des Herrschers zu entgehen.
    »Was schweigt ihr?«
    »Was gibt’s da schon zu reden?«, knurrte Aitscha. »Da können wir uns gleich selber in einer Düne vergraben …«
    »Ulqar vergräbt einen nicht in Dünen«,

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