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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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Sturm einfach nicht«, vermutete er.
    Aliyat schaute auf den launischen Apparat, als sei sie eben erst erwacht, und ihre Augen wurden lebhaft. »Hör mal, womit haben sie denn nun Kahirab erledigt?«, fragte sie beunruhigt.
    »Ich weiß nicht«, sagte er kurz angebunden und zog unwillkürlich die Schultern krumm. »Ich kann es nicht einmal ahnen … Einen Menschen glatt durchzuschlagen, und noch so einen Klumpen aus dem Rücken herauszureißen! Und vor allem – weit und breit niemand da, kannst du dir das vorstellen? Ich habe doch geschaut! Aus welcher Entfernung haben die denn geschossen?«
    »Die?«
    »Na, wir doch nicht! Klar, das waren seine eigenen ›Bemalten‹, die ihn beseitigt haben. Irgendjemandem war er im Wege …«
    »Und wir sind nicht im Wege?«
    Er lachte bitter. »Wie könnten wir beide ihnen denn im Wege sein? Wir sind für sie nicht einmal Eingeborene. So eine Art Tierchen …«
    »Ist vielleicht auch besser so«, fasste sie finster zusammen und stand auf. »Na schön. Ich lege mich schlafen. Und dir würde es auch nicht schaden …«
    »Nein«, antwortete er nach kurzem Überlegen. »Ich habe schon geschlafen, während du hier … Ich will bis zum Morgen hier sitzen bleiben.«
    So einen Morgen hatte Ar-Scharlachi noch nicht erlebt. Einen Sonnenaufgang gab es überhaupt nicht. Dafür füllte sich der Himmel rings um den Samum allmählich mit dunklem Kirschrot wie abkühlendes Gusseisen. Dann schien in diesem dumpfen Licht zaghaft ein bräunliches Gelb durch, und endlich brannte sich links, schon recht hoch, eine Sonnenscheibe von dunklem Purpur durch.
    Ar-Scharlachi wagte sich an Deck und stellte fest, dass man schon atmen konnte, wenngleich mit Mühe. Er musste den Schleier, der das Gesicht bedeckte, doppelt legen. Beim Gang über die leicht nach rechts geneigten Decksplanken registrierte er verwundert, dass es keine nennenswerten Schäden gab. Das brüllende Staubungeheuer hatte sich ausgiebig an dem zerbrechlichen Spielzeug ausgetobt und es praktisch unversehrt gelassen. Irgendwo war die Takelage gerissen, eine Rah am zweiten Mast komplett abgefetzt. Alles eingehend zu betrachten war unmöglich – um die Augen vor dem in der Luft schwebenden Staub zu schützen, musste er die Lider fast ganz zusammenkneifen. Der leichteste Lufthauch warf ganze Hände voll winziger, stechender Sandkörnchen gegen die Stirn.
    Er kehrte ins Deckhaus zurück, öffnete die Luke und ging die Treppe hinab. Unter den Sohlen knirschte Sand, zwischen den Zähnen auch. Ar-Scharlachi weckte Aitscha und befahl ihm, Wachen aufzustellen. Er selbst ging in seine Kajüte, wo er nochmals das Gerät hervorholte, das er von Kahirab geerbt hatte, schaltete es ein und schob den Huckel den seitlichen Schlitz entlang. Die Metallschildkröte antwortete mit einem seltsamen Geräusch, das an ein schrilles, abgehacktes Lachen erinnerte. Ar-Scharlachi blinzelte, runzelte die Stirn und wiederholte die Bewegung wesentlich langsamer. Rauschen, Knattern, irgendein Zwitschern … Dann – Ar-Scharlachi bewegte den stählernen Huckel immer langsamer – schälte sich aus diesen leblosen Geräuschen eine Menschenstimme heraus. Jemand berichtete mit monotoner Stimme jemandem über irgendetwas. So zumindest schien es Ar-Scharlachi, denn den Sinn verstand er nicht – es war die Sprache der »Bemalten«. Er schob den Huckel weiter, und die Stimme versank in Rauschen und Knistern. Dann tauchten gleich zwei Stimmen auf. Einander ins Wort fallend, stritten sie entweder erbittert oder beschimpften sich. Ar-Scharlachi bewegte den Huckel ans Ende des Schlitzes (die Stimmen verschwanden) und schaltete das Gerät aus. Er legte beide Dinge vor sich hin und betrachtete sie nachdenklich, verglich sie nochmals. Zunächst war ihm eins klar geworden: Durch die Schildkröte, die man ihm geschenkt hatte, konnte er nur mit Tiangi sprechen, durch die, die Kahirab gehört hatte, mit vielen …
    Bald ging die Tür auf, und in die Kajüte kam Aliyat, rieb sich verärgert die Augen.
    »Warum bist du denn aufgestanden?«, murrte er. »Schlafen solltest du …«
    »Ich kann nicht«, knurrte sie. »Und dann klopfen sie auch noch …«
    Tatsächlich, an Deck wurde gehämmert, hin und her gelaufen, Eisen klirrte, die Stimme Ard-Gews war zu hören.
    »Was ist da los?«
    »Sie reparieren die Masten, spannen die Takelage neu …«
    »Und der Staub?«
    »Setzt sich allmählich.«
    Sie gingen an Deck. Der Staub setzte sich tatsächlich nach und nach. Der Himmel, zuvor braun, war

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