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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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nicht, was ihm Ulqar antworten würde. Alles sollte sich am Morgen klären.
    Lange fand er keinen Schlaf. Aliyat schaute ihn an, sie schlief ebenfalls nicht.
    »Hör mal«, sagte sie leise. »Sag ehrlich … Hast du überhaupt keine Angst?«
    »Vor dem Meer? Nein, habe ich nicht.«
    »Fürchtest du denn irgendetwas?«
    Er seufzte. »Die ›Bemalten‹ fürchte ich. Ich fürchte, dass sich Ulqar sperrt … Aber hauptsächlich natürlich die ›Bemalten‹.«
    »Möchtest du Wein?«
    Er schüttelte den Kopf, und das beunruhigte sie endgültig.
    »Hast du wirklich beschlossen, Ulqar Meerwasser zu bringen?«
    »Was bleibt denn sonst noch zu tun? Der Aufstand ist niedergeschlagen, wir können nirgends hin … Und dann, weißt du«, setzte er lebhafter hinzu, »ich will zum Meer. Sei es allen diesen ›Bemalten‹ zum Trotz, sei es … Ich weiß nicht. Ich sehe es schon im Traum, wirklich!«
    »Und wie ist es … im Traum?«
    Ar-Scharlachi stutzte und runzelte irritiert die Stirn. »Seltsam. Ich erinnere mich nicht … An das Ufer erinnere ich mich, aber das Meer selbst …«
    »Na gut, und das Ufer? Wie ist es?«
    »Die reinste Oase. Zypressen, Palmen … So ähnlich wie Harwa, nur ohne Berge …«
    »Eine Oase? Warum eine Oase?«
    »Na …« Verlegen warf er die Hände hoch, bewegte die Finger. »Das ist doch Wasser … Viel Wasser … Schön, du hast mich überredet, gib Wein!«
    Ar-Scharlachi war so klug gewesen, den beweglichen Metallniet nach dem ersten Gespräch mit Ulqar in seiner Stellung zu lassen, und als er jetzt das Gerät einschaltete, tat er es recht vorsichtig, um ihn nicht versehentlich zu verschieben.
    Ulqar hatte den Anruf wohl erwartet, denn er meldete sich sofort. »Ich habe über deinen Vorschlag nachgedacht«, teilte er trocken mit. »Was hältst du davon, Statthalter des Palmenwegs zu werden? Nachdem du mir das Wasser beschafft hast, versteht sich.«
    Ar-Scharlachi war sprachlos. Man konnte sagen, was man wollte, aber der Herrscher des Einigen Harwa war für Überraschungen gut.
    »Mir scheint«, fuhr Ulqar fort, der das verwunderte Schweigen seines Gesprächspartners als etwas Selbstverständliches betrachtete, »dass auf diese Weise alle Probleme beseitigt wären.«
    »Ja … Aber es entsteht ein neues«, sagte Ar-Scharlachi nach einem Räuspern. Er war noch nicht vollends zu sich gekommen.
    »Welches?«
    »Ich wäre ein zu guter Statthalter«, erklärte Ar-Scharlachi verwirrt. »Und das kann auch zu einem Aufstand führen.«
    Aliyat verdrehte die Augen und schlug sich mit der kräftigen, braunen Faust an die Stirn. Ulqar schwieg. Nun war er an der Reihe, sich zu wundern. Schließlich machte die Schildkröte ein sonderbares Geräusch – der Herrscher schien ungläubig zu schlucken.
    »Klug bist du«, bemerkte er, und sogar seine Stimmung schien sich zu bessern. »Ich denke auch, dass gerade die Güte des Herrschers der Hauptgrund für einen Aufstand ist … Gut.« Als sei er stutzig geworden, sprach Ulqar wieder trocken und fest weiter: »Welche Belohnung möchtest du für dich selbst haben? Wohlgemerkt: für dich selbst.«
    Ar-Scharlachi, vollends außer Fassung, schaute zu Aliyat hin. Sie machte schweigend mit beiden Armen eine Bewegung, als raffe sie Sand vom Kamm einer Düne zusammen.
    »Nun ja … wenn ich Haus und Pension wiederbekäme …«
    »Du hattest eine Pension?«
    »Ja. Mein wirklicher Name ist Ar-Scharlachi …«
    »Das ist es also!«, murmelte Ulqar. »Klar … Also einer von den Gebietern … Aber darüber reden wir später. Hast du mein Edikt über deine Ernennung zum Karawanenführer erhalten?«
    »Ja, vor ein paar Tagen. Ist es noch in Kraft?«
    Ulqar schwieg einen Moment.
    »Sagen wir so«, entgegnete er langsam. »Vom heutigen Tage an ist es wieder in Kraft … Und jetzt lass uns das Gespräch unterbrechen, ehe sie anfangen, uns zu belauschen … Überhaupt, ruf mich nicht mehr an. Bis du am Meer bist.«
    Die Stimme des Herrschers verstummte, es blieben nur lebloses Rauschen und Knistern. Ar-Scharlachi wollte schon den Niet in die Ausgangslage schieben, doch da tauchte eine neue Stimme auf.
    »Warte mit dem Abschalten, Ar-Scharlachi«, sagte die Stimme ohne Eile. »Hier ist Tiangi.«
    Ar-Scharlachi und Aliyat erstarrten, dann wandten sie langsam die Köpfe und schauten einander hilflos an.
    »Was schweigst du?«
    »Ich höre …«, antwortete Ar-Scharlachi heiser.
    »Sehr gut. Erstens freut es mich sehr, dass du am Leben bist. Eigentlich habe ich mich darüber schon gefreut,

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