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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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Vernunft …«
    Rauschen, Rauschen, Rauschen … Aliyat schaute ihm in die Augen, als wolle sie vollends hineinkriechen. Mit bleichem, starrem Gesicht schaltete Ar-Scharlachi das Gerät aus und schob den Stab ins Gehäuse.
    »Nun?«, fragte er wehmütig. »Was?«
    Aliyat bewegte die Schultern, schaute ihn feindselig an. »Wohin du willst, nur nicht nach Kimir …«
    Er rang sich ein Lächeln ab. »Hast du Angst wegen der Nichte?«
    Sie antwortete nicht. Ar-Scharlachi ließ sich auf das niedrige, breite Bett fallen, schob das Gerät unters Kopfkissen und schaute zur Decke. Aliyat setzte sich neben ihn und strich beruhigend mit ihrer kühlen, kleinen Hand über seine heiße Stirn.
    »Ach, in den Kamelhintern mit ihnen!«, sagte Ar-Scharlachi wütend. »Ich werde gleich ein Feuer unter den Rohren machen …«
    Die kleine Hand erstarrte. »Wage es nicht! Dann verbrennen sie uns todsicher!«
    »Na, ich drohe wenigstens damit …«
    »Du hast schon gedroht! Und er lacht darüber …«
    Ar-Scharlachi holte stoßweise Luft und verstummte für längere Zeit. An der Tür klopfte ratlos Aitscha – er wollte fragen, welche Befehle es gebe. Aliyat ging aus der Kajüte und erklärte flüsternd, bis zum Mittag werde es keine Befehle geben. Der Anführer sei nicht in Stimmung …
    »Recht hatte der Zauberer«, teilte Ar-Scharlachi missmutig mit, als sie zurückkam und sich neben ihn setzte. »Andere sind gekommen und werden uns hier fortjagen … Stell dir vor: Es gab uns, und weg sind wir. Ruinen, Fetzen von Pergament … Na schön, um Ulqar tut es mir nicht leid, und um Gortka auch nicht. Aber es gab ja auch Gojen, es gab Aregug …«
    »Wovon redest du?«, fragte sie verständnislos. »Du hast doch selbst gesagt, dass Aregug schon lange tot ist.«
    »Ja«, erwiderte er betrübt. »Und Gojen auch. Allerdings erst seit Kurzem …«
    »Na also …« Sie verstummte, als habe sie vollends den Faden verloren.
    »Die aber werden bleiben«, sagte Ar-Scharlachi niedergeschlagen. »Werden alles mit ihren Rohren überziehen, nickende Hämmer aufstellen … Weißt du …« Er stützte sich auf dem Ellenbogen auf, schaute gehetzt. »Ich denke, sie haben nicht ohne Grund Angst, uns ans Meer zu lassen. Das Meer ist wohl doch nicht einfach viel Wasser …«
    »Was dann? Die Unsterblichkeit?«
    »Ich weiß nicht … Vielleicht sogar die Unsterblichkeit. Aber nicht für einen einzelnen Menschen, sondern für die ganze Kultur, verstehst du?«
    »Nein«, gab Aliyat ehrlich zu. »Kultur – was ist das?«
    Er wollte es erklären, kam aber nicht dazu. Brüllen und Donner erschütterten die Bordwände des Samum . So brüllt die Tiefe während eines Erdbebens, nur dumpfer und nicht so wütend. Ein klingendes, die Sandkörnchen durchschüttelndes Dröhnen lief in zwei Wellen über die Wüste hin.
    »Aber es ist doch noch nicht Mittag!«, rief Ar-Scharlachi verzweifelt, als könnte Tiangi ihn hören.
    Er erwartete einen Schlag, den Ausbruch einer Flamme, Schmerz, doch nichts dergleichen folgte. Das Donnern ebbte ab. In den Ohren stand ein ständiges Klingen. Ar-Scharlachi und Aliyat wechselten hoffnungsvolle Blicke und stürzten zur Treppe, die auf Deck führte.
    Draußen sah alles unverändert aus. Noch immer glänzten am rechten Steigbügel die endlosen Rohre, noch immer wellten sich links die endlosen Sanddünen. Doch die an Deck zusammengedrängten Männer standen da, die Knie leicht gekrümmt, und schauten unablässig irgendwohin nach Norden, wo auch alles wie zuvor war: Sand und die zum Horizont verlaufenden Rohre.
    »Was ist?«, fragte Ar-Scharlachi angsterfüllt. Er hörte kaum die eigene Stimme.
    Der nahebei stehende Iliysa, der sich immer noch nicht entschließen konnte, sich aufzurichten, wandte ihm das graue, von tiefen Falten durchzogene Gesicht zu. Die alte Brandwunde an der Schläfe leuchtete zart.
    »Vögel …«, ächzte er. »Eiserne … von da … dorthin …«
    »Was denn für Vögel?« Ar-Scharlachi folgte konsterniert der Richtung, in die Iliysa mit einer ruckartigen Bewegung des Kinns deutete (von Süden nach Norden), und erstarrte. Über dem Horizont, hinter dem die nickenden Hämmer verborgen sein mussten, erschien langsam und lautlos eine riesige dunkelrote Flamme, die sich ausbreitete. Dann war das tiefe, mächtige Grollen ferner Explosionen zu hören.
    »Da sind sie!«, rief jemand und hob die Hand nach vorn, entweder um zu zeigen oder um sich zu schützen.
    … Sie kamen näher, nahmen geschwind und erschreckend an Größe

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