Unter dem Räubermond
berichtigte ihn Ar-Scharlachi kalt. »Ulqar führt einen in die Wüste und verbrennt einen mit Kampfschilden …«
Jemand macht »hm«. Auch ein Trost …
»Also bleiben zwei Wege«, fuhr Ar-Scharlachi ungerührt fort, nachdem andere Ansichten nicht aufgekommen waren. »Und beide an den Rohren entlang.«
Die Sitzenden regten sich unruhig, man flüsterte.
»Nördlich von uns sind die nickenden Hämmer. Was das ist, wisst ihr schon ungefähr. Ihr wart da. Tun werden sie uns wahrscheinlich nichts, aber froh werden sie über uns auch nicht sein. Bestenfalls lassen sie uns ungehindert passieren …«
»Nach Turkla?«, stellte jemand hoffnungslos in den Raum. Die Umsitzenden begannen aufgebracht durcheinanderzureden.
»Dort werden sie uns alle in Fesseln legen! Hast du etwa vergessen, wie es letztes Mal war?«
»Frag Iliysa! Der kann es dir haarklein erklären …«
»Ausgerechnet nach Turkla!«
Ar-Scharlachi wartete, bis sich das Stimmengewirr legte. »Wir könnten auch einfach nirgendwohin fahren«, sagte er. »Hier bleiben, bis der Proviant alle ist … Übrigens, wie sieht es bei uns mit dem Proviant aus?«
»An die zehn Tage«, sagte Ard-Gew. »Wir sind voll beladen.«
»Also … das heißt, zehn Tage lang können wir hier auf dem Hintern sitzen und überlegen, was zu tun ist.«
»Spann uns nicht auf die Folter, Scharlach!«, rief jemand aus den hinteren Reihen klagend. »Gib uns den Rest, erspar uns nichts, wieso auch! Du willst zum Meer, was?«
»Zum Meer«, sagte Ar-Scharlachi fest. Alle hatten das Wort längst erwartet. Das war vielleicht auch der Grund, dass es zu keinem Ausbruch des Unmuts kam, obwohl ein paar sogar aufsprangen. Sie schrien zwar, aber dann doch wieder gar zu hoffnungslos.
»Weswegen haben wir denn gemeutert, was? Auf dem Samum , was? Doch genau deswegen, weil wir nicht zum Meer wollten! Und jetzt? Sollen wir selber, was …?«
»Du und Aliyat, ihr habt’s gut! Ihr seid ja verzaubert! Zum Meer oder nach Turkla, was macht’s euch aus? Aber uns?«
Ar-Scharlachi hob eine Hand, und das Stimmenwirrwarr verstummte für einen Moment. »Euch habe ich doch auch verzaubert«, sagte er und schaute sie offen und dreist an. »Euch – und das Schiff auch.«
Alle erstarrten. Die aufgesprungen waren, setzten sich einer nach dem anderen; die Augen fassungslos auf den Anführer gerichtet, ertasteten sie mit unsicherer Hand ihre Teppiche.
»Hört mal, das stimmt ja!«, brachte einer hervor. »Nach der Schlacht, was? Wir sind doch als Einzige heil davongekommen …«
Ein paar Sekunden verstrichen in Schweigen, tot wie die Wüste. Schließlich ertönte eine klagende Stimme: »Und trotzdem ist es unheimlich …«
»Das ist es ja eben«, antwortete ihm ein anderer krächzend. »Dorthin ist es unheimlich, zurück – schrecklich … Und da soll man nachdenken …«
Sie dachten die ganze Nacht. Durch die dünnen Trennwände drangen immer wieder Schreie, wüste Beschimpfungen und einmal wohl auch der Klang einer schallenden Ohrfeige in Ar-Scharlachis Kajüte. Gegen Morgen beruhigten sie sich, anscheinend ohne zu einem Entschluss gekommen zu sein. Und er selbst, ehrlich gesagt, wusste ja nicht, wozu er sich entschließen sollte. Die Fahrt zum Meer konnten die »Bemalten« als offene Herausforderung auffassen, und wie sie mit Leuten umgingen, die ihnen nicht passten, hatte Ar-Scharlachi gesehen. Mehr als einmal …
Das Fenster wurde grau, füllte sich dann allmählich mit dunklem Blau. In der Kajüte war es schon ganz hell. Neben ihm schniefte leise Aliyat. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, setzte sich Ar-Scharlachi auf dem niedrigen und einst geräumigen Bett auf, holte Kahirabs Schildkröte unter dem Kopfkissen hervor, schaltete sie ein und schob den metallischen Huckel, der einem Niet ähnelte, den Spalt entlang. Aliyat öffnete sofort die Augen, nörgelte etwas und drehte sich auf die andere Seite.
Rauschen, Knistern, zwei Gespräche wieder in dem unverständlichen Singsang … Dann blitzte etwas Bekanntes auf, verschwand aber sofort wieder, weil Ar-Scharlachi zusammengezuckt war und den Niet bis zum Anschlag geschoben hatte. Er kehrte zurück, tastete … Wie soll man das sonst nennen? Natürlich »tasten« … Schließlich fand er den Ton und hielt sich die Schildkröte ans Ohr.
»Mit Kimir musst du schon selbst zurechtkommen«, sagte vernehmlich eine Männerstimme, die die Vokale komisch singend aussprach. »Du weißt doch genau, dass wir zu Gortka keinen Zugang haben und dass er
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