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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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wieder auf, hielt es mit den Fingerspitzen, schnalzte, gab es weiter. Ard-Gew fand in der Nähe eine stählerne Stange mit einem Handgriff am Ende, in den Löcher für die Finger eingelassen waren. Alle fassten nacheinander diesen Handgriff an und wunderten sich. Es sah so aus, als hätte dieser Griff aus der Faust nach unten ragen sollen, man wusste nur nicht, wozu. Und selbst wenn er nach oben geragt hätte – wo war der Unterschied?
    Still geworden, kehrten sie auf den Samum zurück und wollten schon weiterfahren, als sich herausstellte, dass Gorcha fehlte. Ar-Scharlachi fluchte und befahl Aitscha, die ganze Mannschaft zu überprüfen. Es erwies sich, dass alle anderen vollzählig waren, und dann fiel jemandem ein, er habe Gorcha wohl zu einem entfernten Bruchstück gehen sehen. Sie mussten den Samum wieder verlassen und sich auf die Suche machen.
    Sie fanden Gorcha in einer Senke zwischen zwei Dünen. Er lag mit der Brust auf einem großen Blech aus silbergrauem Metall und gab kein Lebenszeichen von sich. Als sie das sahen, warfen viele eilends die vom Sand aufgeklaubten Bruchstücke weg, aus denen sie später vermutlich Amulette hatten machen wollen. Alle waren entsetzt bei dem Gedanken, eine Berührung der glänzenden Haut des Vogels sei tödlich. Sie wagten sich nicht an den Liegenden heran und riefen Scharlach. Als dieser sah, was geschehen war, lief er ohne zu überlegen in die Senke hinab und drehte Gorcha um. Alsbald zeigte sich, dass der Kittel auf der linken Seite blutbefleckt war. Nein, Gorchas Tod hatte absolut nichts mit dem silbergrauen Blech zu tun, auf dem man ihn gefunden hatte. Der Grund war ein gewöhnlicher Räuberstich mit einem Messer unter die Rippen.
    Außer sich vor Wut, verlangte Ar-Scharlachi, dass alle Klingen an Bord des Samum überprüft wurden, doch auf keiner fand man Spuren frischen Blutes. Entweder hatte der Schuldige Gelegenheit gefunden, das Messer sorgfältig zu säubern, oder er hatte es gleich nach dem Mord vergraben. Man versuchte sich zu erinnern, mit wem sich Gorcha in letzter Zeit gestritten hatte, und stellte fest – fast mit allen. In finsterem Schweigen hüllten sie den schweren, knochigen Körper des Räubers in ein sauberes Tuch und begruben ihn an der Stelle, wo er den Tod gefunden hatte. Ar-Scharlachi murmelte ein Gebet an den bösen Mond und das Kamel namens Ai-Agwar, in dessen Gefilden Gorcha gestorben war; auf das Grab pflanzten sie eine Lanze mit einem weißen Tuchfetzen, und nachdem sie eine Handvoll Sand verstreut hatten, wie es Brauch war, kehrten sie aufs Schiff zurück. Wieder begann das endlose, ermüdende Lavieren gegen den Wind. Wieder kamen die silbrigen Rohre zur Rechten bald näher, bald entfernten sie sich, und ab und zu blitzten in den Sanden Trümmer des schrecklichen Vogels auf.
    »Und was denkst du selbst darüber?«, fragte Ar-Scharlachi niedergeschlagen. »Warum haben sie ihn umgebracht? Einfach ein Streit?«
    »Nicht doch«, presste Aliyat zwischen den Zähnen hervor. »Wenn es ein Streit gewesen wäre!«
    »Was dann?«
    »Sie wollen nicht zum Meer fahren.«
    Er warf den Kopf hoch. »Ich verstehe nicht … Was hat Gorcha damit zu tun?«
    Eine Zeit lang betrachtete Aliyat ihn mit einem galligen Lächeln.
    »Wofür verdienst du eigentlich so viel Glück?«, wunderte sie sich halblaut. »Und vor allem – immerzu, immerzu … Hilft dir der Mond? Nein, du bist ja gottlos … Zauberei? Du sagst selber, dass du kein Zauberer bist. Was bist du denn als Treiber wert, sag selbst?«
    »Nicht viel sicherlich«, gab er seufzend zu.
    »Überhaupt nichts«, korrigierte sie ihn hart. »Du hast ja keine Ahnung, was bei dir auf dem Schiff los ist! Ein richtiger Treiber hat drei, vier Zuträger allein unter der Decksmannschaft. Sobald ein bisschen Unmut aufkommt, weiß der Treiber alles …«
    »Willst du sagen, dass du Zuträger hast?«
    »Natürlich.«
    »Na großartig! Und wen denn? Ard-Gew?«, fragte er unangenehm verwundert. Ihm fiel sofort wieder ein, wie ein paar Männer bei Ar-Ajafa vor ihm die Klingen gezogen hatten, um Aliyat zu verteidigen.
    »N-nein«, sagte sie gedehnt, als sei sie von seiner Verständnislosigkeit enttäuscht. »Was wäre das schon für ein Zuträger? Ard-Gew hat man ständig im Auge, außerdem ist er ja der zweite Gehilfe, hat eine eigene Kajüte … Er sieht praktisch gar nichts. Und anvertrauen wird sich ihm auch niemand …«
    »Wer also?«
    »Ich hab’s dir doch gesagt!«
    »Jetzt reicht’s!«, explodierte er. »Wenn du

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