Unter dem Räubermond
etwas erfahren hast, sag’s!«
Aliyat schwieg, runzelte die Stirn. »Na ja«, sagte sie unzufrieden. »Solange wir die Flamme hinterm Schwanz hatten, waren sie still. Aber dann haben sie wieder zu murren begonnen … Die Schlacht verloren, die Flotte vernichtet … Fast hätte er uns den Nacktfressen ausgeliefert …«
»Wieso verloren?«, entrüstete sich Ar-Scharlachi. »Hat Ulqar etwa gewonnen?«
»Dann das mit den nickenden Hämmern«, fuhr Aliyat fort, als habe sie ihn nicht gehört. »Alle wussten, dass dir die ›Bemalten‹ helfen. Sie dachten, deine ganze Zauberei kommt von ihnen … Und was nun auf einmal? Ich habe einem meiner Leute nahegelegt, das Gerücht zu streuen, die eisernen Vögel hättest du herbeigerufen, aber ich denke, sie haben es nicht so recht geglaubt … Außerdem sagen sie: Der Wind weht die ganze Zeit gegens Horn. Auch nicht von ungefähr. Das heißt, etwas will dich nicht zum Meer lassen …«
»Und was hat nun Gorcha damit zu tun?«
»Gorcha wäre ja mit dir überall hingefahren, zum Meer, hinter die Berge … Und er hätte auch die anderen dazu gezwungen. Verstehst du jetzt?«
»Nein«, sagte Ar-Scharlachi starrsinnig. »Warum Gorcha umbringen, wenn sie mich umbringen können?«
»Du bist doch verzaubert«, erinnerte ihn Aliyat. »Und noch dazu selber ein Zauberer. Dich rühren sie nicht an. Sie haben Angst … Und mich auch nicht, deinetwegen …«
37
Einfach viel Wasser
A r-Scharlachi spürte plötzlich, dass etwas nicht in Ordnung war, und erwachte. Der Samum stand still. Ein schräger Streif grünlichen Mondlichts, in der Stärke vergleichbar den silbrigen Röhren, die sich seit vier Tagen rechts vom Schiff dahinzogen, traf direkt neben dem Bett auf den Teppich. Der ovale Lichtfleck hob bis in die kleinsten Einzelheiten das Muster hervor, das eine namenlose Meisterin aus Kimir geknüpft hatte. Neben ihm saß, offensichtlich ebenfalls gerade erst erwacht, Aliyat und lauschte angespannt. Sowohl im Schiffsraum als auch auf Deck gingen gedämpftes Stimmengewirr und Füßetrappeln hin und her.
»Was? Was? Was …?«, fragte Ar-Scharlachi und begann schlaftrunken mit den Händen zu fuchteln.
»Hast du’s vergessen?«, entgegnete Aliyat leise, und sogleich lief ihm ein Schauder über den Rücken.
Er erinnerte sich: der böse Räubermond, ein gedämpftes, dann anschwellendes Gebrüll, das vom Bug zum Heck des in allen Spanten erzitternden Samum lief, das kalte, perlende Mondlicht, der Schrei »Scharlach! Scharlach! Scharlach!« wie von einem Sandhasen und das schreckliche eiserne Knirschen des Hiebes …
»Eine Meuterei?«, flüsterte er ungläubig.
»Ich weiß nicht«, flüsterte sie zurück. »Ziehen wir uns an! Schnell! Halte die Klinge in Reichweite!«
Lärm und Getümmel verstummten nicht, doch näher kommende Schritte, wütende Schreie und Schläge gegen die Tür blieben dann doch aus. Das war zugleich beruhigend und beängstigend. Wenn etwas Außergewöhnliches passiert war, warum machte man Scharlach keine Meldung? Besorgt verließen sie die Kajüte und stiegen ins Deckhaus hinauf.
»Warum stehen wir?«
Ard-Gew zuckte zusammen und drehte sich zu Ar-Scharlachi um. Das schwache rötliche Licht des in der Lampe brennenden Dochts fiel auf die dichten, hochgezogenen Brauen und die kläglich gerunzelte Stirn, wurde von den verwirrten Augen zurückgeworfen, gab dem Schleier einen rosa Schimmer. Vom scharfen Ton des Anführers erschreckt, warf der zweite Gehilfe Aliyat, die gerade den Lukendeckel schloss, einen raschen Blick zu, als bitte er um Schutz; dann schaute er wieder Ar-Scharlachi an. »Da brennt wieder etwas«, sagte er hilflos. »Sieh selbst …«
Voraus, direkt vor dem Horn des Samum , breitete sich genau solch ein Feuerschein aus wie jener, der vor ein paar Tagen hinter dem Heck am Himmel gestanden hatte. Die Sterne im Süden waren gleichsam verblasst und funkelten nur mit Mühe. Offensichtlich durch Rauch hindurch …
»Meldung musst du machen«, knurrte Ar-Scharlachi.
»Wollte ich doch!«, begann sich Ard-Gew sichtlich erleichtert zu rechtfertigen. »Ich bin nur nicht dazu gekommen …«
Ohne hinzuhören, öffnete Ar-Scharlachi die Tür zum mondhellen Deck.
»Scharlach!«, rief jemand warnend, und die zusammengedrängten Männer wandten sich um, verstummten.
Scharlach schaute sich um. Rechts glänzten im Mondlicht die Rohre, unter ihnen lag ein gewellter, zweifacher Schatten auf dem hellen Sand. Der vage Feuerschein voraus war riesig. Zweifellos
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