Unter dem Räubermond
wunderbar!«, bemerkte er, während er nach einer Trinkschale tastete. »Über die Grenze werden sie uns nicht folgen …«
»Wenn wir es bis zur Grenze schaffen.«
»Haben wir doch sozusagen schon.« Ar-Scharlachi schaute wieder zum Fenster hinaus. »Gleich kommen die Niemandssande …«
Er öffnete den Verschluss des Kruges, vorsichtig, um keinen Tropfen zu verschütten, füllte die Schale und kippte sie gegen seine Gewohnheit ohne zu kosten hinunter.
»Die wievielte ist das?«, erkundigte sich Aliyat gereizt.
»Die erste«, sagte er und goss die zweite ein.
So kurz nach dem Schlaf stieg ihm der Wein zu Kopfe, und Ar-Scharlachi musste sich, als er ins Deckhaus ging, ein paarmal an der Wand abstützen, wobei er hinter seinem Rücken Aliyat böse murren hörte.
Im Deckhaus herrschte stille Panik. Die auf Ar-Scharlachi gerichteten Augen über den respektvoll hochgezogenen Schleiern erstaunten ihn mit ihrem Ausdruck müder Verzweiflung. Sie erstaunten und belustigten ihn.
»Nicht die Köpfe hängen lassen!«, rief er und trat mit – soweit möglich – festem Schritt ins Deckhaus.
Die Matrosen rangen sich ein Lächeln ab. Scharlach geruhte zu scherzen.
»Noch eine Karawane«, sagte einer mit heiserer Stimme. »Auf Abfangkurs …«
»Wo?«, wunderte sich Ar-Scharlachi und trottete zum Sehschlitz.
In der Tat, links vom Kurs war noch eine Staubwolke von beachtlichen Ausmaßen aufgetaucht. An die fünf Schiffe, nicht weniger.
»Kimirer …«, stöhnte Aliyat in einem Ton, als blicke sie dem Tod in die Augen. »Da sind wir also über die Grenze gekommen …«
»Vielleicht sollten wir uns den Kimirern ergeben?«, ließ sich einer der Matrosen zaghaft vernehmen.
»Wozu? Harwa und Kimir haben ein Abkommen. Wenn ein Räuber über die Grenze flieht, wird er ausgeliefert …«
Eine Minute verging in gespanntem Schweigen. Es war schon klar, dass sich die Karawanen einander in spitzem Winkel näherten und dass sich der Samum unweigerlich am Schnittpunkt der Kurse befinden würde.
Mit einem sorglosen Grinsen, das der Schleier zum Glück verbarg, ließ Ar-Scharlachi den Blick über die besorgten Gesichter schweifen. Furcht verspürte er nicht. Nach drei Schalen Wein, die er hinuntergestürzt hatte, kam ihm das Geschehen teilweise sogar komisch vor. Und nur das Herz schlug unheimlich und erwartungsvoll – das erste Anzeichen, dass er im nächsten Moment wieder im Suff eine Dummheit machen würde, für die er später lange Zeit zu büßen hätte.
»Ach, zum Teufel mit allem …«, sagte Ar-Scharlachi träge und sorglos und drängte einen der Rudergänger vom Steuerrad. »Los, auf Deck, Befehl zur Wende geben! Kurs ein Viertel nach links!«
»Wage es nicht!«, schrie Aliyat bleich auf, doch da machten die Matrosen mit drohendem Murren Front gegen sie, und sie verstummte, wich zurück.
Oh!, dachte Ar-Scharlachi, und ihn schauderte. Wirklich, was mache ich da …?
Doch es war zu spät, den Befehl zurückzunehmen. Eine Minute später lief der Samum schon wieder gerade vor dem Wind, trieb eine Wand von Sand vor sich her. Geradewegs auf die kimirische Karawane zu.
»Augen schützen!«, befahl Ar-Scharlachi, der geschwind nüchterner wurde. »Wer ist noch auf Deck? Alle herunterkommen!«
Vor ihnen waren in den trüben Schwaden schon die Umrisse der Schiffe Kimirs zu sehen. Man sah, wie dort eilends die Segel gerefft wurden, wie Krieger mit Kampfschilden in den Händen auf den Sand sprangen und sich zu Ketten entfalteten. Und dann explodierte die ganze Welt vor ihnen in stechend blendendem Licht, das zum Glück von dem Staub gedämpft wurde, der den Kimirern entgegenwehte. Das Licht schlug durch die Sehschlitze, stach mit schmalen Klingen durch Ritzen. Das gefährlichste Stück Weg … durchbrechen … durchbrechen und nicht in Brand geraten … aber vor allem natürlich durchbrechen … und nicht einen Kimirer rammen … und nicht das Schiff umkippen lassen …
Ar-Scharlachi, am Steuerrad zusammengekrümmt, wagte nicht, das Rad ein wenig zu drehen, obwohl es ihm schien, als läge die Lücke zwischen den Schiffen der kimirischen Karawane ein Stück links vom Kurs …
Man sagt, dass Betrunkene Glück haben. Der einem Rammstoß ähnelnde Angriff des Samum war so plötzlich und wider alle Vernunft, dass die Kimirer nicht einmal Zeit hatten, sich richtig zu formieren. Wenn sie alle Schilde gleichzeitig ausgerichtet hätten, hätte kein Staubvorhang etwas genützt. Unter vollen Segeln schnitt das wahnwitzige, geblendete
Weitere Kostenlose Bücher