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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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Gesichtsausdrucks nicht sicher sein.
    »Und wo ist der Bericht von Chaïlsa selbst?«, wollte er wissen, ohne den Kopf zu heben.
    »Von dem ehrwürdigen Chaïlsa ist kein Bericht gekommen.«
    »Das heißt – ein Aufruhr?« Endlich schaute Tamsaa seinen Sekretär an.
    Irwa stand noch immer halb verneigt da, doch seine großen braunen Augen waren eher aufmerksam als ehrerbietig. Wem diente er denn nun, dass ihn das Kamel trete?
    »Der ehrwürdige Ar-Maura verwendet genau dieses Wort«, erinnerte ihn der junge Mann. »Ich denke aber, er hatte einfach Angst, Raub Raub zu nennen.«
    »Ich habe den Tod verdient, Herrscher!«
    Es bereitete dem ehrwürdigen Tamsaa keine besondere Mühe, äußerste Verzweiflung zu spielen – er riskierte in der Tat viel, wenn er mit solch einem Bericht zu Ulqar kam, noch dazu in den heiligen Stunden, da der Unerforschliche und Unsterbliche in göttlicher Abgeschiedenheit ein neues Edikt schuf. Aufschieben konnte er es aber auch nicht – Ar-Mauras Beschwerde war schon durch mehrere Hände gegangen, die des Sekretärs eingeschlossen.
    Der Herrscher blickte neugierig und beunruhigt auf den Würdenträger, der sich vor ihm niedergeworfen hatte und dessen Gesicht beinahe das schwarz-lila Muster des kimirischen Teppichs berührte. Mit einem Wink des kleinen Fingers befahl er seinem Sekretär, sich zu entfernen. Dieser sprang auf, steckte die Feder weg, schraubte im Gehen das kupferne Tintenfass zu und verschwand hinter dem sich knisternd blähenden Vorhang.
    »Und worin besteht denn deine Schuld, ehrwürdiger Tamsaa?«
    Noch immer mit krummem Rücken hob der Würdenträger das blasse, verzerrte Gesicht. »Ich habe dem ehrwürdigen Chaïlsa befohlen, die Karawane zu führen, die zum Meer aufgebrochen ist … Ich dachte, dass er … bei seinem Können, seiner Erfahrung … diesen Auftrag zur Zufriedenheit ausführen würde …«
    »Ich war dabei«, erinnerte ihn Ulqar trocken, während er sich mit zwei Fingern über die schwarzen Schatten unter den aufmerksam blickenden Augen strich. »Wenn das ein Verbrechen gewesen wäre, hätte ich dich schon damals hinrichten lassen … Was also ist geschehen, Ehrwürdiger? Ich verstehe dich so, dass Chaïlsa deine Erwartungen enttäuscht hat?«
    »Scharlach hat auf einem der Schiffe eine Meuterei angezettelt, sich von der Karawane abgesetzt und vor vier Tagen Ar-Mauras Schatten überfallen …«
    Die Hauptsache war heraus. Mit echter Furcht blickte Tamsaa auf das starr gewordene Gesicht des Herrschers. Auf Ulqars Wangen traten die Kaumuskeln hervor, der Adamsapfel bewegte sich krampfhaft.
    »Mach das Rückgrat gerade«, warf der Herrscher hin, der angewidert den in purpurrote Seide gehüllten Rücken des Würdenträgers betrachtete. »Dein Anblick ist unangenehm.«
    Tamsaa streckte vorsichtig seine Wirbelsäule, aber nicht vollends – der Anstand erforderte mindestens eine halbe Verbeugung. Der Herrscher sprang plötzlich auf, lief von einer Ecke in die andere, dann blieb er vor dem Würdenträger stehen, der sein Schicksal erwartete.
    »Also«, begann er in einem schrecklichen Flüstern, »die Feindschaft zwischen den Clans ist vorbei, nicht wahr? Die Unsterblichkeit des Herrschers hat sowohl deine Pläne als auch die des ehrwürdigen Alras gestört?«
    »Herrscher …«
    »Schweig! Und wen von meinen Sprösslingen habt ihr zu meinem Nachfolger ausersehen? Ljaga, den Sohn Rinads, oder Ayjuts Sohn Awl?«
    »Herr …«
    »Schweig! Für solch ein hohes Ziel würde Alras sogar seinen eigenen Onkel opfern, den Karawanenführer Chaïlsa!« Das schreckliche, trockene Lachen des Herrschers ließ dem ehrwürdigen Tamsaa den kalten Schweiß ausbrechen. Ulqar stutzte, runzelte die Stirn. »Übrigens, lebt er?«
    »Ich weiß nicht, Herrscher … Vielleicht hat Scharlach ihn als Geisel genommen …« Der Würdenträger warf einen Blick auf Ulqar und verstummte erschrocken.
    »Scharlach …«, seufzte der, und sein Blick wurde glasig. Tamsaa wartete zitternd, was er weiter sagen würde, doch der Herrscher schwieg. Dann atmete er laut und abgehackt und wandte sich abrupt dem Würdenträger zu. »Mir ist nicht wichtig, was mit Chaïlsa passiert ist, das Schicksal der Karawane interessiert mich nicht … Aber finde mir Scharlach, Ehrwürdiger! Das Fass mit Meerwasser muss binnen eines Mondes hier sein.«
    »Herrscher!«
    »Gut, binnen zweier!« Ulqar lächelte wieder, den Blick auf den vor Kummer reglosen Würdenträger gerichtet. »Du hast diese Sache begonnen, du wirst

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