Unter dem Räubermond
Herrschers. Und die Bewohner Harwas verstummten erschrocken, denn erst da merkten sie, dass sie von einem Verrückten regiert wurden.
Nichtsdestoweniger ging der Kampf um das Erbe weiter. Kaum jemand bei Hofe fasste das Wort »unsterblich« buchstäblich auf. Die meisten Würdenträger waren ehrlich der Ansicht, die Unsterblichkeit des Herrschers sei ein Machtsymbol, nicht mehr. Oreya der Vierte beispielsweise hatte sich den Blendenden nennen lassen, doch er hatte ja nicht geleuchtet!
Die Expedition nach Meerwasser jedoch änderte alles grund legend. Es ging nicht mehr um einen Titel – es ging um wirkliche Unsterblichkeit, vorausgesetzt natürlich, man glaubte den Werken der Alten … Selbst der an alles gewöhnte Tamsaa war erschüttert gewesen, als Ulqar erklärte, wozu er den Räuber Scharlach brauchte. Am selben Abend hatte der Würdenträger, einer Panik nahe, Irwa befohlen, alle Gelehrten ausfindig zu machen und in seinem Haus zu versammeln, die den Aufstand überlebt hatten. Die Gelehrten wurden versammelt, und der ehrwürdige Tamsaa verlangte von ihnen die Wahrheit. Zu seinem Erstaunen erwies sich, dass es mehrere Wahr heiten gab. Besonderen Eindruck auf den Ehrwürdigen machte ein Weiser, der verdächtig nach einem Bettler aussah. Er erklärte, das Meer sei die Antithese der Wüste, die im menschlichen Bewusstsein unter der Einwirkung der Sonnenstrahlen entstehe und folglich nichts mit Unsterblichkeit zu tun habe.
Nachdem er diese zerlumpten Typen entlassen hatte, war der Würdenträger in langes Nachdenken versunken. Die Ansicht des weisen Bettlers hatte ihm gefallen, doch ob sie der Wahrheit entsprach, wusste der Ehrwürdige nicht. Natürlich hätte der zufällige Tod Scharlachs während der Jagd nach ihm alles klären können, doch der Ehrwürdige hatte gezögert und beschlossen, den Räuber vorerst am Leben zu lassen und die Intrige etwas komplizierter zu gestalten.
Das war, wie sich nun zeigte, ein Fehler gewesen …
13
Ein Kollege
D ie Ankunft der Räuberkarawane löste in Turkla keine Aufregung aus – die bunt gemischte Bevölkerung dieser seltsamen Oase hatte schon ganz andere Dinge gesehen. Auch der berühmte Name des Anführers beeindruckte niemanden besonders. Es stellte sich heraus, dass man hier von Scharlach nur beiläufig gehört hatte, da er das Raubgut ausschließlich im Trunkenen Schatten verhökert hatte und nie so weit nach Süden gekommen war, weil seine kleinen Schiffe zu klapprig waren. Es war sogar ein wenig kränkend, dass der berüchtigte Räuber, dessen Name schon seit über einem Jahr den ganzen Palmenweg in Furcht und Schrecken versetzte, hier als eine recht gewöhnliche Figur galt.
Andererseits hatte die Räuberei in Harwa nie solche Ausmaße erreicht wie etwa in den südöstlichen Provinzen Kimirs, wo die Dreistigkeit der Wüstengeier einmal so weit ging, dass sie Aliyba (damals die größte Stadt des Staates) belagerten, sie zu stürmen drohten und ein märchenhaftes Lösegeld verlangten. Und obwohl die Räuberhorden damals von den rechtzeitig eintreffenden Truppen versprengt worden waren, hatte es Oreya der Dritte für ratsam gehalten, die Hauptstadt an einen weniger gefährlichen Ort zu verlegen.
In der neuen Zitadelle verschanzt, hatte jener kriegerische Herrscher sich das Ziel gestellt, den Raub ein für alle Mal auszurotten, doch er wurde mitten in der Mobilmachung vom plötzlichen Tod ereilt, sein unfähiger Nachfolger Oreya der Vierte jedoch … Aber die Geschichte des Aufruhrs und der Abspaltung von Harwa ist ja hinreichend bekannt.
Nachdem er über Leichen auf die Trümmer des Throns gelangt war, hatte der Heerführer Gortka – einstmals übrigens ebenfalls unter den Räubern – beschlossen, das Werk Oreyas des Dritten fortzuführen. Ihm war es zu danken, dass Kimir wie durch ein Wunder vor dem endgültigen Zerfall verschont blieb, und die zahllosen Räuberbanden spürten schon bald, dass der neue Herrscher eine harte Hand hatte. Mit einigen entschlossenen Überfällen, die unwillkürlich an die zweifelhafte Vergangenheit des Heerführers denken ließen, zerschlug Gortka der Erste solche alten Raubnester wie Alijani und Port Ganeb, doch die Oase Turkla, die sich unversehens an der Grenze zweier Staaten befand, entging dem allgemeinen Schicksal, indem sie rechtzeitig um den Schutz Harwas bat.
Obwohl ihm durchaus bewusst war, dass er wegen der Entfernung und Unzugänglichkeit Turkla nicht regieren konnte, nahm Ulqar – der sich damals noch nicht zum
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