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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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Gott erklärt hatte – dennoch diese Oase unter seinen Schirm, ausschließlich, um dem westlichen Nachbarn noch eins auszuwischen.
    Turkla war wohl der einzige Schatten in den Wüsten, der vom Zerfall des großen Staates erheblich profitiert hatte. Der Handel zwischen Harwa und Kimir war praktisch zum Erliegen gekommen. Nachdem der wahnsinnige Ulqar verboten hatte, irgendetwas von Wert nach Kimir auszuführen, wurden die Karawanen der Grenztruppen von Harwa für die Kaufleute weitaus gefährlicher als selbst die Räuber. Wenn sie ein Handelsschiff angehalten hatten, pflegten die Grenzwächter alles zur Schmuggelware zu erklären, was ihnen in den Sinn kam. Und als vor fünf Monden verkündet worden war, dass die Kaufleute zwischen Kimir und Harwa nur über die im Edikt aufgezählten Schatten fahren durften, wurden die Wüsten tatsächlich wüst und leer. Es blieb ein einziges Schlupfloch im Süden, der einzige Hafen, den aus rechtlichen Erwägungen Schiffe beider Staaten anlaufen konnten – Turkla.
    Das unbedeutende Raubnest blühte auf. Drei riesige Basare kamen erst mit Einbruch der Dunkelheit zur Ruhe. Gehandelt wurde hier mit allem. Von hier aus wurde Seide nach Kimir und buntes Glas nach Harwa gebracht. Hier flossen in zwei mächtigen Strömen die Goldscheibchen mit den Profilen der Oreyas, Ulqars und Gortkas des Ersten zusammen. In den beiden Häfen, wo früher zwei, drei kleine, heruntergekommene Räuberschiffe Zuflucht gefunden hatten, war jetzt nirgends mehr Platz, eine Galeere festzumachen. Für jeden Standplatz musste man ein Vermögen zahlen.
    Und das Merkwürdigste: Das Raubnest Turkla hatte schon ernstlich den Kampf mit der Räuberei aufgenommen. Raub schadete dem Handel, und so ließen sich die berühmten Ban denführer, angelockt von unerhörten Belohnungen, selbst zum Schutz der reichen Karawanen anheuern.
    Traditionsgemäß wurde Turkla von zwei Treibern regiert, die alle zwei Jahre wechselten. Das Paar knorrige, in Gold gefasster Stäbe, die der Legende zufolge einst den beiden Treibern des Kamels namens Sibra gehört hatten, wurden den angesehensten Einwohnern Turklas überreicht, das heißt, den erfolgreichsten Hehlern von Raubgut oder Besitzern von Kneipen und Freudenhäusern.
    Handwerke gab es in Turkla nicht – alles, einschließlich von Steinen und Bauholz, wurde eingeführt. Dennoch machte das Städtchen einen wenn nicht bezaubernden, so doch jedenfalls frappierenden Eindruck. Straßen mit gemustertem Pflaster sah man neben Trennwänden aus Stampflehm, die luxuriösen Gewebe teurer Kittel neben weiß gebleichten Lumpen. Die Architektur verblüffte mit einer Stilmischung; die strengen Linien Harwas wurden immer wieder von den wunderlichen Arabesken Kimirs durchbrochen. Übrigens ertappte sich Ar-Scharlachi recht bald dabei, dass er darin eine gewisse Schönheit fand. Besonders hatte es ihm der Tempel der Vier Kamele angetan – eine genaue Kopie des nun zerstörten Tempels in Harwa, aber geradezu lächerlich verkleinert. Wenn er hochgesprungen wäre, hätte Ar-Scharlachi wohl mit den Fingerspitzen den grün verfärbten Huf eines der Kamele berühren können, die die Ecken des würfelförmigen rosa Gebäudes zierten. Die Bronzetiere, über ihre geringe Größe erhaben, reckten stolz die gepanzerten Hälse und warfen die mit dem schrecklichen Horn bewehrten Köpfe empor – alle vier: Awr, Sibra, Ganeb und Ai-Agwar.
    Eigentlich kam Ar-Scharlachi erst am dritten Tag dazu, sich die Stadt anzuschauen. Nachdem er am Morgen mit schwerem Kopf in der Kajüte des ehrwürdigen Chaïlsa erwacht war und die erste Schale Wein getrunken hatte, dachte er stirnrunzelnd, er müsse endlich das Trinken aufgeben und sich ernsthaft mit seinem Schicksal befassen. Irgendwo in der Nähe jenseits der Trennwand brummten gekränkt Bassstimmen, und die etwas spröde, hohe Stimme Aliyats überschlug sich gefährlich.
    »Also nein … Die Ketten habt ihr uns abgenommen, und was nun? Sollen wir verhungern?«
    »Ich kann euch wieder anketten.«
    »Also nein … den anderen habt ihr …«
    »Die anderen haben keine Geiseln getötet. Kannst du rechnen? Zwei Aufseher. Selbst wenn wir sie als Matrosen bewerten, sind das hundert Ulqar in Gold. Ihr seid drei. Also rund dreiunddreißig Ulqar pro Nase. Und euer Anteil beträgt fünfundzwanzig. Das heißt, ihr habt sogar noch Schulden …«
    »Wir fordern ja nichts, Herrin. Wir bitten doch …«
    »In Turkla bittet man nur auf dem Basar. Aber hier ist Scharlachs Schiff.«
    »Gebt

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