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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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unvorsichtig gehandelt, als du ihn nicht auf dem Wege nach Harwa hast beseitigen lassen … Oder ist es noch nicht zu spät?«
    »Wirklich, ich weiß nicht …«, gestand Tamsaa mit unglücklicher Miene. »Ulqar wird sofort argwöhnen, dass wir dahinterstecken.«
    »Nun, man braucht es ihm nicht zu melden.«
    Der ehrwürdige Tamsaa lächelte gallig. »Wozu ihn dann beseitigen lassen? Oder befürchtest du, er könnte tatsächlich den Weg zum Meer kennen? Ich hatte, ehrlich gesagt, nicht den Eindruck. Wenn Ulqar ihn nach dem Weg zum Himmel gefragt hätte, hätte er vor Angst trotzdem Ja gesagt. Außerdem – sieh dir das hier an …«
    Tamsaa rollte ein Pergament auf, strich es auf beiden Seiten glatt (für den Fall, dass Alras befürchten könnte, das Pergament sei vergiftet) und reichte es über den Tisch. »Das habe ich nach dem Diktat des Herrschers geschrieben. Mit seiner eigenhändigen Unterschrift bekräftigt …«
    Mit finsterer Miene nahm Alras das Schriftstück entgegen, schaute darauf und erstarrte für längere Zeit.
    »Tja, das ist ernst …«, sagte er schließlich und reichte das Pergament mit einem Seufzer zurück. »Dann hat es Sinn, Ulqar zu melden, der Führer sei gefunden worden und die Expedition gehe folglich weiter … Und morgen werde ich den kimirischen Gesandten zu mir bitten und ihn zu überzeugen versuchen, dass man diesen deinen Scharlach unbedingt am Leben lassen soll …« Alras stockte. »Was ist, Ehrwürdiger?«
    Der ehrwürdige Tamsaa war im Begriff, das Pergament weg zustecken, erstarrte jedoch, ohne seine Bewegung zu vollenden, mit verblüfftem, sogar etwas dümmlichem Gesichtsausdruck. »Was hat der kimirische Gesandte damit zu tun?«
    Jetzt war die Reihe an dem ehrwürdigen Alras, Verwirrung zu zeigen.
    »Soviel ich weiß«, sagte er, »hat Scharlach, nachdem er die Karawane zur Meuterei veranlasst hat, die Grenze überschritten und raubt in großem Stil Schatten aus, die Kimir gehören. Der Gesandte von Kimir hat mir heute schon die zweite Beschwerde übergeben … Nein, nein, Ehrwürdiger, kein anderer als Scharlach! Das Schiff, das die Grenze zuerst überschritten hat, hieß Samum .«
    »Das kann nicht sein!«
    »Warum?«
    »Gestern Morgen hat Scharlach eine Handelsgaleere in den Takyren der Tallana ausgeraubt. Und heute wurde gemeldet, dass er mit dem Samum in Turkla aufgetaucht ist und dort eine Mannschaft zusammenstellt. Er kann doch nicht an drei Orten zugleich sein!«
    Alras blinzelte bekümmert.
    »An zweien auch nicht«, sagte er schließlich. »Und genau das folgt aus deinen Worten … Allerdings …« Der Würdenträger überlegte. »Ist dir nicht in den Sinn gekommen, dass wir es vielleicht mit drei Scharlachs zu tun haben?«
    »Das heißt?«
    Alras bewegte unbestimmt die Lippen. »Letzten Endes ist ›Scharlach‹ nicht einmal ein richtiger Name«, sagte er. »Das ist ein Spitzname für jeden aus Ar-Scharlachis Schatten. Warum sollten drei Räuber nicht aus demselben Schatten stammen?«
    »Und auf ein und demselben Schiff herumfahren?«
    »Hm …« Der ehrwürdige Alras rieb sich verlegen das Kinn. »Dann hat er wohl einfach seine Kräfte geteilt …«
    »Auf solchem Raum?«
    Beide stellten sich die Karte vor und lehnten sich langsam an die hohen geschnitzten Lehnen der Stühle zurück. Beiden war derselbe frappierende Gedanke gekommen. Das war kein Raub. Das war nichts anderes als Aufruhr. Der Kerl hatte offensichtlich vor, den Palmenweg zum Aufstand zu bringen. Etwas Schlimmeres konnte man sich kaum denken. Wenn es den Palmenweg verlor, würde sich Harwa unweigerlich in sei nen Vorbergen eingeschlossen finden, würde zu einer gewöhn lichen Oase wie Turkla werden, nur außerordentlich ungünstig gelegen … Und es ging nicht einmal um Harwa! Solch ein Aufruhr würde beide Würdenträger den Kopf kosten. Die Streiche eines Räubers konnte man ziemlich lange vor dem Herrscher verheimlichen, einen Krieg aber nicht …
    Von den finstersten Vorahnungen erfüllt, verließen beide Würdenträger schweigend das Haus des kahlköpfigen Hohepriesters. Beide Sekretäre, die im Vorzimmer gewartet hatten, standen bei ihrem Anblick auf und verbeugten sich ehrerbietig.
    »Vergiss morgen nicht, mich zu erinnern, dass …«, begann der ehrwürdige Tamsaa und stockte, als er bemerkte, dass er sich an den falschen Sekretär gewandt hatte. Von seinem Irrtum verdutzt, wandte er den Blick langsam zu Irwa hin – und verlor vollends die Fassung. Es sah aus, als seien die jungen Männer

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