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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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Strahlen der Mittagssonne. Wahrscheinlich waren die ersten Galeeren, die in die Wüste aufbrachen, die unmittelbaren Nachkommen jener Vorrichtung der Ureinwohner gewesen, wenngleich das in sämtlichen Pergamenten heftig bestritten wurde. Die erste Galeere, die von mehreren Familien des Ai-Agwar-Clans in die glühenden Sande hinausgeschoben wurde, sollte der Überlieferung zufolge wie ein hölzernes Kamel auf vier Rädern ausgesehen haben.
    Im Laufe langjähriger Wanderungen verteilten sich die Ankömmlinge über alle Wüsten entlang des riesigen hufeisenförmigen Bergrückens, besiedelten das Vorland der Berge und die in den toten Sanden verstreuten grünen Inselchen, gründeten neue Städte und Staaten. Das selige Harwa aber wusste von alledem nichts, überzeugt, die Weggezogenen seien tot, und erwachte erst, nachdem, mit flachen Spiegelschilden funkelnd, in der Steppe die erste Karawane aus dem bis dahin unbekannten Lande Kimir auftauchte.
    Die nie zuvor gesehenen Schiffe hatten wenig Ähnlichkeit mit jener legendären ersten Galeere: Die hohlen Räder waren zu ungeheuerlichen Ausmaßen angewachsen, und die Plane hatte sich aufgerichtet, war zum Segel geworden. Die Holme waren verschwunden, und niemand ging mehr an den Seiten des Schiffes, um es vorwärtszuschieben. An ein hölzernes Kamel erinnerten nur noch der geschnitzte Tierkopf am Bug mit dem Horn auf der Stirn und der Wimpel am Heck, der »Schwanz« genannt wurde.
    Die Nachfahren der verschwundenen Familien waren zurückgekehrt, um an Harwa, das sie vertrieben hatte, Rache zu nehmen …
    So steht es in den alten Pergamenten. Der bekannte Unruhestifter Aregug, genannt der Gottlose, konnte freilich auch hier nicht darauf verzichten, Wirrnis in den Köpfen zu säen. Selbiger Mann äußerte starken Zweifel daran, dass sich die in die Wüste ausgewanderten und dort verstreuten Familien zu einem derart mächtigen Staat hätten vereinigen können, und hatte die Stirn anzunehmen, Harwa sei keineswegs von Clans verlassen worden, sondern von Banden, die Jagd auf die goldenen Ringe machten, welche so verlockend in den Nasen der kohleschwarzen Eingeborenen glänzten.
    Es ist ganz unverständlich, wie es dieser Weise geschafft hatte, friedlich in seinem Bett zu sterben, umringt von ebenso gottlosen Schülern – anders als beispielsweise der heute so hochgeachtete Andrba, der in seinen Urteilen weitaus vorsich tiger war …
    Indem es seinen Bevölkerungsüberschuss in die Wüste abschob (seien das nun kriegerische Clans oder Räuberbanden), hatte Harwa in den letzten hundert Jahren verhältnismäßig ruhig und ereignisarm gelebt. Man hatte Tempel gebaut, Weizen gesät, Plätze gepflastert, sich mit Eifer in die Dispute der Weisen versenkt. Und auch nachdem es unter die Herrschaft Kimirs geraten war, hatte dieses gesegnete Land seine Bräuche kaum geändert. Natürlich waren neue Werften gebaut worden, die Märkte wimmelten nun in den kräftigen kimirischen Farben, bei Paraden glänzten die Spiegelschilde, doch alles in allem war Harwa Harwa geblieben, träge und wohl meinend. Das Gezänk der Clans betraf das einfache Volk schon lange nicht mehr, nur der Adel beglich seine Rechnungen untereinander. Zu Waffengewalt kam es nicht, dafür ergossen sich über den kimirischen Statthalter Denunziationen wie aus einem Füllhorn. Wenn aber der Spross irgendeines alten Geschlechts spürte, dass man ihn demnächst vergiften oder in Fesseln legen würde, bat er einfach um Zuflucht im Tempel der Vier Kamele, die überall gleichermaßen verehrt wurden.
    Doch dann brachen Unruhen in Kimir aus, und das friedliche Harwa kippte gleichsam über den Rand. Der Umsturz selbst verlief alles in allem unblutig, doch danach begann der unvermeidliche Krieg mit dem zwar geschwächten, aber noch immer gefährlichen Gegner. Und entweder hatte der Hochadel tatsächlich die Oreyiden unterstützt, oder Ulqar hatte einfach beschlossen, sich bei dieser Gelegenheit von den Gleichrangigen zu befreien, jedenfalls blieb im allgemeinen Zwist kaum jemand von wirklich edlem Blute übrig.
    Die Folgen aber waren recht unerwartet. Das kleine Beamten-Kroppzeug und alle möglichen Halbblut-Adligen, die sich jetzt um Ulqar geschart hatten, schienen beweisen zu wollen, dass sie sich nicht schlechter zanken konnten als jene, die ihre Abstammung auf die Acht Treiber zurückführten. Die Clans von Rinad und Ayjut waren bis aufs Messer verfeindet …
    Mit der Zerstörung des Tempels der Vier Kamele hatte Ulqar eigentlich

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