Unter dem Räubermond
schrecklich bestraft wurden. Man konnte nur die übermenschliche Kühnheit derjenigen bewundern, die es wagten, auf den hiesigen Märkten Beutel zu schneiden.
»Also erklär mir endlich, Ehrenwertester«, knarrte die gereizte Greisenstimme, »was habe ich dir getan?«
Ar-Scharlachi zuckte zusammen und wandte sich um. Die drahtige, feste Braue hochgezogen, wartete der Ankäufer auf eine Antwort.
»Ich verstehe dich nicht, Ehrenwertester.«
»Und ich verstehe dich nicht. Du wolltest, dass die Galeere durch meine Hände ging, nicht wahr? Du wolltest sie zurückerhalten, schon vom Unglück gereinigt? Nun gut, du hast sie zurückerhalten. Alles Unglück gehört jetzt mir. Zähle die Goldstücke nach – und verschwinde!«
Die Goldstücke klangen ungeordnet durcheinander, und Aliyat stand auf, blass geworden. »Wer …« Ihr versagte die Stimme. »Wer … hat sie gekauft?«
Angesichts ihrer weit aufgerissenen Augen zweifelte der Ankäufer einen Moment lang, ob sein Zorn berechtigt sei. »Ich kenne seinen Namen nicht«, warf er hin. »Er hat ihn nicht genannt. Dafür hat er gesagt, wer ihn beauftragt hatte, das Schiff zu kaufen.«
»Scharlach?!«
Verwirrt blinzelnd blickte der Alte von Ar-Scharlachi zu Aliyat und zurück. Jetzt wusste er wirklich nicht mehr, was da eigentlich geschehen war.
14
Dreimal Scharlach
D ie Feindschaft zwischen den Clans ist also vorbei und Geschichte …
Das böse Flüstern des Herrschers raschelte wie eine Schlange im Sand. Der ehrwürdige Tamsaa schüttelte ab und zu heftig den Kopf, um sich von diesem Rascheln zu befreien, doch das Flüstern schien sich auf lange Zeit in seinem Kopf eingenistet zu haben.
Die Feindschaft zwischen den Clans …
Der Herrscher hatte einen voreiligen Schluss gezogen. Und damit hatte er den Gang der Ereignisse beschleunigt. Tamsaa selbst hatte gar nicht vorgehabt, den ehrwürdigen Alras um ein Treffen zu bitten, doch nachdem Ulqar es ausgesprochen hatte, kam ihm das unvermeidlich vor.
Natürlich würden die Würdenträger so oder so Feinde bleiben. Nicht darum ging es jetzt. Es ging um die schwarzen Schatten unter Ulqars Augen, um die Grimasse von Schmerz, die manchmal wie ein Wellenschlag über das abgezehrte Ge sicht lief. Ulqar war krank. Ulqar fürchtete den Tod. Und er hatte die ehrwürdigen Tamsaa und Alras im Verdacht, dass sie das Leben des Herrschers nicht zu verlängern wünschten …
Nachdem er den Vorschlag eines Treffens unter vier Augen erhalten hatte, wahrte der ehrwürdige Alras einen ganzen Tag lang besorgtes Schweigen. Gegen Abend, wie die Zuträger meldeten, rief ihn der Herrscher zu sich. Ihr Gespräch konnte nicht belauscht werden, doch nach Hause zurückgekehrt, schickte Alras unverzüglich einen Boten zu dem ehrwürdigen Tamsaa und ließ ausrichten, der Vorschlag des Ehrwürdigen sei angenommen.
Die vom Herrscher zur Unzeit erwähnte Feindschaft zwischen den Clans war für Harwa etwas Alltägliches. Den alten Pergamenten zufolge war sie schon in jenen alten Zeiten aufgeflammt, als die Vorfahren von den Bergen herabgestiegen waren und mit geschärftem Stahl die Ureinwohner aus dem grünen Paradies von Harwa vertrieben hatten – kleinwüchsige Menschen, schwarz wie Holzkohle, mit goldenen Ringen in der Nase und mit winzigen Giftpfeilen. Mehr noch, man war der Ansicht, dass ebendiese Feindschaft dazu beigetragen hatte, den Palmenweg zu entdecken und vor allem den kleinen kriegerischen Staat Kimir zu gründen, der sich dann aller Oasen einschließlich Harwas bemächtigt hatte.
Diesen Pergamenten zufolge war der unterlegene Clan, um nicht vollends vernichtet zu werden, aufgebrochen und für immer in die Wüste gezogen. Einen anderen Ausweg hatten die Unglücklichen einfach nicht gehabt. Links und rechts von den gesegneten Tälern und Schluchten Harwas reichten die Sande bis unmittelbar an die Berge. Die Wüste, nicht das Meer, galt damals als Inbegriff des Todes. Deshalb hatte man die von dannen Ziehenden verschont, überzeugt, dass man diese Menschen nie wieder zu Gesicht bekommen werde.
In der Tat, bei Tage über die mörderisch heißen Schotter-, Fels- und sonstigen Ebenen zu ziehen, das vermochten höchstens die schwarzhäutigen, sehnigen Eingeborenen, und selbst sie mussten bei all ihrer Ausdauer für weite Reisen eine Art Schubkarre mit Plane verwenden. In den geflochtenen Kasten dieses seltsamen Wägelchens, das von Menschen gezogen wurde, legte man die Habe und die Vorräte, die Plane aber schützte vor den tödlichen
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