Unter dem Räubermond
Seufzen des Windes ähnlich, verstummte, erscholl dann aber von Neuem: »Ihr seid von den Bergen gekommen und habt uns von überall vertrieben. Aber jetzt sind andere gekommen und werden euch vertreiben.«
»Andere?«
Der Zauberer schwieg.
»Was für andere?«
»Sie sind euch ähnlich«, ließ er sich zögernd vernehmen. »Und sie haben schon begonnen, euch von überall zu vertreiben.«
Ar-Scharlachi blinzelte.
»Ich verstehe nicht, von wem du sprichst«, sagte er schließlich. »Niemand vertreibt uns.«
Die wulstigen grauen Lippen regten sich zu einer Art Lächeln. »Ihr habt immer weniger Schiffe. Ihr fahrt immer seltener auf ihnen in die Wüste. Ihr werdet selbst immer weniger und weniger.«
»Nicht doch!«, brachte Ar-Scharlachi entmutigt hervor. »Du …« Er hätte beinahe gesagt: »Du hast nichts begriffen«, biss sich aber rechtzeitig in den Schleier. Dem Zauberer durfte man solche Worte nicht sagen. »Es war einfach Krieg. Es wurden Menschen getötet, Schiffe verbrannt. Aber das haben wir selbst getan, verstehst du?«
»Das denkt ihr. Der Speer denkt auch, dass er zustößt. Aber nicht der Speer stößt zu, sondern die Hand.«
Ar-Scharlachi hätte beinahe gelacht, doch dann fiel ihm plötzlich Harwa ein, das mit irgendwelchen seltsamen Waren auf den Markt kam, die nicht hier erzeugt worden waren, ihm fielen die verarmten Schatten ein, die verwaisten Marktplätze, die schwarzen Schiffsskelette auf dem glühend heißen rötlichen Schotter des Papalan-Plateaus …
»Du willst sagen … dass diese anderen … den Krieg angezettelt haben?« Er schaute sich um, als wolle er die hölzernen Götzen als Zeugen anrufen, dergleichen sei nicht möglich. »Doch wo sind sie dann? Warum sind sie nicht zu sehen?«
»Um zu sehen, muss man schauen«, lautete die rätselhafte Antwort.
»Nun … gut …«, sagte Ar-Scharlachi, der schließlich die Fassung verlor. »Ich … will mich bemühen … Aber sag wenigstens, wo soll ich schauen?«
Diesmal schwieg der Zauberer besonders lange. Die wuls tigen Lippen öffneten sich widerwillig. »Dort, wo sich der Stahl verneigt.«
Ar-Scharlachi schob unwillkürlich eine Hand unter das Kopf tuch und presste die Fingerspitzen an die pulsierende Schläfe. »Was heißt das?«
Der Zauberer schwieg.
»Wo sich der Stahl verneigt …«, wiederholte Ar-Scharlachi verständnislos. »Gut, und wie gelangt man dorthin, wo er … sich verneigt?«
»Folge von hier die ganze Nacht dem Stern N’Goba. Ihr nennt ihn Alq-Ganeb.«
Ar-Scharlachi runzelte die Stirn, überlegte. »Das ist irgendwo zwischen Turkla und Ar-Nau …? Aber dort sollen doch die nickenden Hämmer sein …« Er stockte und starrte den Zauberer an; ihm war plötzlich aufgegangen, dass just von den nickenden Hämmern die Rede war. »Hast du selbst das etwa schon gesehen?«
»Ja. Die, vor denen sich der Stahl verneigt, rühren uns nicht an.«
»Und uns?«
»Euch verbrennen sie«, flüsterte der Zauberer beim Einatmen und ließ gleichgültig die Lider sinken. »Aber nicht immer …« Er öffnete die schwarzen Augen mit den strahlend weißen Augäpfeln wieder, und Ar-Scharlachi schien es, als betrachte ihn Mbanga mit kindlicher Neugier. »Du gehst dorthin?«
»Ich weiß nicht …«, sagte Ar-Scharlachi verwirrt und erfasste plötzlich, was der letzte Satz des Zauberers für ihn und alle anderen bedeutete. »Du lässt uns also fort?«
»Ja. Du wirst gehen und allen großen weißen Menschen sagen: Es sind andere gekommen, und sie werden euch vertreiben.«
Den ganzen Rest der Nacht hindurch brannten rings um den Samum und den Weißen Skorpion Lagerfeuer und Fackeln. Doch mit den Eingeborenen hatten sie nichts mehr zu tun. Überhaupt hatte es den Anschein, als sei das Dickicht links und rechts jetzt völlig menschenleer. Bei dem unsteten rötlichen Lichtschein machten die Mannschaften unter Flüchen und Hauruck-Rufen die im Sand stecken gebliebenen Schiffe flott. Der Samum fuhr schon bald auf der für das linke Rad gegrabenen ansteigenden Rinne weiter, wobei er sich allmählich aufrichtete, doch der bis zum Bauch eingesunkene Weiße Skorpion machte eine Menge Arbeit …
Iliysa, der Kommandeur der Spiegelkämpfer, zog kriechend einen schweren Sack über den nachrutschenden Hang, schüttete ihn unweit des Lagerfeuers aus und ließ sich entkräftet auf den Sand fallen.
»Vorsicht!«, peitschte irgendwo aus dem rötlichen wabernden Halbdunkel die Stimme Lakos.
Ohne aufzustehen, wandte Iliysa den Kopf. Unter dem Boden der
Weitere Kostenlose Bücher