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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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hatte. Und wie die Kleineren kreischend in die Siedlung gerannt waren.
    Jeder von diesen Götzen hatte wohl mehr als ein Leben verschlungen, als er noch ein Baum war … Ar-Scharlachi stellte sich vor, wie die Eingeborenen sich in völliger Dunkelheit lautlos zu dem Stamm schlichen, den ihnen der Zauberer gewiesen hatte. Eine gefährliche Sache … Wenn jemand von den Bewohnern des Schattens sie bemerkte, würde er sofort Alarm schlagen. Falls er noch dazu kommt, versteht sich … Und es waren ja wirklich mitunter Menschen verschwunden …
    »Du hast also Lewwe gekannt?«, fragte Ar-Scharlachi leise.
    Das reglose Gesicht Mbangas, über und über mit Narben bedeckt, die in ihrer Regelmäßigkeit Furcht einflößten, unterschied sich nicht allzu sehr von der Maske, die er abgelegt hatte. Die gleiche Schnitzarbeit, nur nicht in Holz, sondern im lebendigen Fleisch …
    »Nein«, seufzte beim Einatmen die unheimliche Nachtstimme. »Ihn kannte N’Gonba. Er gab ihm eine Maske, damit sie ihn nicht töten.«
    »Die Maske hat ihm nicht geholfen«, sagte Ar-Scharlachi. »Während des …« Da kamen ihm Zweifel, ob Mbanga wohl das Wort »Aufstand« kannte, und er beschloss, den Satz einfacher und konkreter zu formulieren. »Als die großen weißen Menschen anfingen, einander umzubringen, brachten sie auch Lewwe um. Wegen Zauberei.«
    Es kam ihm so vor, als lächle Mbanga, doch es lag wohl an dem Feuerschein, der gleichsam die Narben auf dem schwarzen Gesicht des Zauberers abtastete.
    »Libi …« So sprach er Lewwes Namen aus. »Libi konnte nicht zaubern. Zum Zaubern muss man schwarz sein. Man muss nach innen sprechen können. Man muss schon immer in der Wüste leben und nicht von den Bergen herabsteigen. Man muss viel wissen und Narben im Gesicht haben.« Der Zauberer machte eine Pause und wiederholte: »Libi konnte nicht zaubern.«
    »Ja«, sagte Ar-Scharlachi. »Zaubern konnte er nicht. Aber die anderen dachten, er könne es. Außerdem konnten sie ihn nicht leiden, weil er euch für Menschen hielt und nicht für Tiere.«
    »Libi war ein guter Mensch«, raschelte Mbanga gleichmütig. »Aber er wusste sehr vieles nicht. Er dachte, Tiere sind schlechter als Menschen.«
    Ar-Scharlachi kam ein wenig aus dem Konzept. Ehrlich gesagt, er hatte dem schwarzen Volk einfach schmeicheln wollen. Die letzten Worte des Zauberers bekümmerten ihn, erschreckten ihn sogar zum Teil.
    »Wenn du Lewwe nicht getroffen hast«, sagte er schließlich, »wie hast du dann unsere Sprache erlernt?«
    Wie üblich antwortete der schwarze Zauberer nicht gleich.
    »Ich habe mich fangen lassen. Und ich habe den großen weißen Menschen sehr lange gedient.«
    »Wozu?«
    »Ich wollte wissen.«
    »Unsere Sprache kennen?«
    »Nein. Anderes.«
    »Hast du es erfahren?«, fragte Ar-Scharlachi, der versuchte, sich der gemächlichen, abgehackten Rede des Eingeborenen anzupassen.
    »Nein«, raschelte Mbanga. »Damals nicht. Jetzt weiß ich.«
    Das seufzende Flüstern des Zauberers klang ziemlich unheilvoll, und Ar-Scharlachi ließ schaudernd seinen Blick über die grausam grinsenden Fratzen der Götzen schweifen. Das Gespräch schien alles in allem ganz friedlich zu verlaufen, aber das war ja ein Eingeborener! Vielleicht war es bei denen üblich, sich erst angenehm auszusprechen, und dann erst – ab zur Opferung …? Ar-Scharlachi spürte, wie es ihn wieder kalt überlief, und er zog den Mantel enger um sich, ohne sich einen Blick dorthin zu erlauben, wo über dem Dickicht die Massen des Samum und des Weißen Skorpion aufragen mussten.
    Zumindest drang von dort keinerlei Lärm heran, und Ar-Scharlachi beruhigte sich etwas.
    Er hatte große Lust zu fragen, was denn Mbanga kürzlich erfahren hatte, doch jetzt fürchtete er, den Zauberer mit einer direkten Frage zu kränken.
    »Du hast den großen weißen Menschen lange gedient«, tastete sich Ar-Scharlachi vorsichtig heran. »Du wolltest wissen. Hast aber nichts erfahren. Doch jetzt weißt du … Wie ist dir das gelungen?«
    »Du wolltest nicht danach fragen.«
    Ar-Scharlachi zuckte zusammen. »Ja«, sagte er. »Du hast recht. Ich wollte nach dem Wissen selbst fragen.«
    Der Zauberer nickte kaum merklich. Die erste menschliche Bewegung. Obwohl sie Mbanga vielleicht seinen früheren Herren abgeschaut hatte.
    »Du bist auch ein guter Mensch. Du bist Libi ähnlich. Aber ich sage dir gern, was ich jetzt sage. Denke, dass ich es nicht dir sage, sondern allen Menschen, die von den Bergen gekommen sind.«
    Die Stimme, dem

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