Unter dem Räubermond
Blicke auf Aliyat warf, die sich sonderbar aufführte. »Oder meinst du nicht den Wein?«
Sie trank angestrengt die Schale leer und krümmte sich zusammen, ließ den Kopf hängen. Dann hob sie den Blick aus den dunklen, gnadenlos zusammengekniffenen Augen und schaute durch Ar-Scharlachi hindurch in die Ferne. Und sicherlich wurde jetzt jemandem in dieser Ferne sehr unwohl zumute.
»Wir fahren zum Trunkenen Schatten!«, erklärte Aliyat unvermittelt mit überkippender Stimme und knirschte mit den Zähnen. »Ha, wenn ich erst da bin …! Mit dem Samum werde ich das Drecksstück überfahren!«
»He, he!« Ar-Scharlachi wurde nun doch unruhig. »Von wem redest du?«
Aliyat hörte nicht hin. »Jung …«, sagte sie mit beißendem Spott, als äffe sie jemanden nach. »Schön … Na, schön bist du nicht mehr lange …« Ohne hinzuschauen, hielt sie Ar-Scharlachi die leere Schale hin. »Mehr!«
Er zögerte, und das brachte sie in Wut. »Mehr!«, schrie sie mit gebleckten Zähnen, und Ar-Scharlachi gehorchte widerstrebend.
»Hör mal«, sagte er verwirrt. »Lass das sein. Wir müssen jetzt aus Turkla fliehen. Es muss doch an Bord wenigstens jemand nüchtern sein …«
Mit einem finsteren Lächeln betrachtete Aliyat verträumt die Alabasterstatuette Ulqars mit der Pergamentrolle und den Blitzen. »Mit einem Rad sie, mit dem anderen ihn«, flüsterte sie dem Herrscher geradezu zärtlich zu und trank wieder eine Schale leer.
Ar-Scharlachi fluchte und setzte sich auf den Teppich. Ihm war endlich aufgegangen, worum es ging. Sein Namensvetter (abgesehen natürlich vom Titel und dem zusätzlichen Buchstaben »Iat«) war im Trunkenen Schatten mit einer neuen Frau aufgekreuzt … Einerseits war das gut – jetzt wusste man wenigstens, wo er zu finden war … Ja, aber andererseits … Ar-Scharlachi schaute Aliyat an und bekam Angst. Ihr braun gebranntes, breitknochiges Gesicht schien vor Hass versteinert zu sein. Doch als Aliyat diese seltsame Erstarrung abschüttelte, dachte Ar-Scharlachi, sie hätte lieber darin verharren sollen …
Sie begann damit, dass sie die Schale wegwarf und dabei aus Versehen die Neige in Ar-Scharlachis linkes Auge sprühte. »Der Sch-Schakal!«, zischte sie ganz wie eine Kobra. »Ohne mich würde der immer noch Balken in der Werft schleppen!«
Ar-Scharlachi wischte sich verblüfft mit dem Schleier das Auge ab. Aus Aliyats roten Lippen aber kamen Dinge, dass sich das Pergament zusammengezogen hätte und verkohlt wäre, hätte jemand derlei Redensarten aufgeschrieben. Manche Wörter hatte Ar-Scharlachi bisher weder von den Räubern noch von den Mistkäfern gehört.
»Vieh!«, brüllte sie. »Wer hat ihm alle Tipps gegeben? Wer hat alles für ihn getan? Doch nur ich! Ich …!«
»Warte doch …«, setzte Ar-Scharlachi verwirrt an. »Finde doch erst einmal heraus, was wirklich los ist … Na, eine Frau, na, eine junge … Vielleicht hat er eine Gefangene gemacht … um Lösegeld zu bekommen …«
Aber sein Satz goss nur noch Öl ins Feuer.
»Eine Gefangene?«, schrie Aliyat außer sich. »Seine Gefangenen kenne ich …! Wo hast du die Schale hingetan? Gib her!«
Ar-Scharlachi hob die wundersamerweise heil gebliebene Schale auf, füllte sie zur Hälfte aus dem Krug und gab sie Aliyat. »Aber verschütte keinen Wein mehr«, warnte er sie. »So eine Verschwendung …«
»Sogar wenn er denkt, ich bin hingerichtet worden …«, sagte sie atemlos, ohne auf ihn zu hören. »Sogar dann … Es ist ja noch kein Monat vergangen!«
»Entweder trink oder trink nicht«, sagte Ar-Scharlachi verärgert. »Du spritzt herum …«
Aliyat machte sich gierig und zugleich angewidert über die Schale her. Nachdem sie sie geleert hatte, warf sie sie zu Boden und stand langsam auf. Sie schwankte, hielt sich mit der Hand an einem Pfosten fest.
»Wo willst du hin?«
»In meine Kajüte«, warf sie hin und öffnete die Tür.
»Heda, halt!« Ar-Scharlachi sprang auf, fasste sie bei den Schultern und drehte sie zu sich um. »Ich lass dich nirgends hin! Du hast doch diesen Wein von Ar-Maura …! Was hast du vor?«
Eine Sekunde lang wich die Grimasse verbissenen Hasses auf ihrem Gesicht einem Ausdruck wütender Verwunderung. »Dummkopf!«, stieß sie fast genüsslich hervor. »Hast du Angst, ich vergifte mich? Ja, eher vergifte ich euch alle, als mich selber …«
Mit einem Schlag überkreuz stieß sie seine Hände von ihren Schultern und warf die Tür zu.
»Leg den Schleier um!«, rief er ihr verspätet nach. Er
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