Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
Vom Netzwerk:
es aus alter Freundschaft nicht sofort weiterleiten, aber besonders verzögern darf er es auch nicht.«
    Der linke Treiber Aïlscha musterte mit innigem Mitgefühl die finster dreinblickenden Gäste. »Die Forderungen des Herrschers nicht auszuführen ist uns unmöglich«, fuhr er sanft fort. »Sie auszuführen aber auch. Wenn Turkla auch nur ein einziges Mal jemanden an die Obrigkeit ausliefert, bedeckt es sich mit ewiger Schande. Viele werden sich einfach fürchten, unseren Hafen anzulaufen. Ich meine natürlich den ersten Hafen …«
    »Und wie war das mit Anarbi?«, fragte Ar-Scharlachi. »In den Liedern heißt es, dass er just in Turkla gefasst wurde …«
    Aïlscha hob spöttisch eine Braue. »Nun, wenn wir den Liedern glauben wollen, werden wir wohl kaum zur Wahrheit vorstoßen … Anarbi ist bei der Ausfahrt aus dem Hafen ergriffen worden, das heißt außerhalb der Stadt. Damals war ich noch ein Junge … Also, mir hat man erzählt, dass er einfach getrödelt hat und Fersengeld gab, als es schon zu spät war. Ich bin mir sicher, dass die damaligen Treiber ihn ebenso gewarnt haben, wie ich jetzt euch warne.«
    »Wie viel Zeit gibst du uns, aus Turkla zu verschwinden?«, fragte Aliyat geradeheraus.
    Der linke Treiber Aïlscha überlegte einen Moment.
    »Die Postgaleere trifft wahrscheinlich morgen gegen Mittag ein. Ihr müsstet also entweder heute Nacht aufbrechen oder allerspätestens morgen bei Sonnenaufgang …«

19
    Das trunkene Schiff
    D iese Geschichte mit Anarbi hast du geschickt eingeflochten«, bemerkte Lako, als sie den luftigen Palast verlassen hatten und über das in Bögen gelegte Granitpflaster zum Hafen zurückgingen. »Was ist das schon für ein Unterschied, ob sie ausgeliefert oder einfach zu spät über die Verfolgung informiert haben! Wenn sie uns nur jetzt nicht ebenso hereinlegen …«
    »Können wir bis zum Abend die Leute sammeln?«, fragte Aliyat besorgt, ohne sich an jemand Bestimmten zu wenden. »Die sind gewiss alle betrunken. Die hält ja nichts auf, bis sie den letzten Ulqar versoffen haben …«
    »Man müsste sie aber aufhalten«, murmelte Lako.
    Ar-Scharlachi ging schweigend weiter.
    An der Ecke waren vor einem Kaffeehaus unter einem wein umrankten Vordach kleine Teppiche ausgelegt und Kissen darauf geworfen worden. Mit winzigen Schlucken den heißen Kaffee probierend, hatten sich dort an die zehn Männer niedergelassen. Obwohl, nein … Niemand probierte mehr den Kaffee. Vor dem Kaffeehaus war ein erbitterter Streit im Gange, der in eine Schlägerei zu münden drohte. Man hörte, wie jemand unter Lebensgefahr seinem Gegenüber vorwarf, ihn hätten die vier Kamele bestiegen.
    »Schau mal, ist da jemand von unseren Leuten?«, fragte Ar-Scharlachi besorgt.
    »Klar doch!«, lachte Aliyat. »Dort rumort Gorcha.«
    Der riesige Räuber mit den umgestülpten roten Lidern war schon halb vom Teppich aufgestanden, sichtlich im Begriff, jemanden zu erwürgen.
    »Du willst mir was von Scharlach erzählen? Mir, ja? Mir? Mit dem bin ich doch eben erst aus Sibra gekommen!«
    »Ich sag ja gar nichts«, antwortete erschrocken eine tiefe Stimme. »Ich sag ja nur, dass ich ihn vor drei Tagen im Trunkenen Schatten gesehen habe …«
    »Aber er war vor drei Tagen nicht dort! Er war’s nicht!«
    »Was regst du dich denn so auf?« Gorchas grauhaariger, korpulenter Nachbar zog den Feuerkopf träge an dem prächtigen himbeerfarbenen Kittel herab, der reichlich mit Wein und Kaffeesatz befleckt war. »Hast doch selber gesagt – ein Zauberer … Und wenn er ein Zauberer ist, was gibt’s da zu wundern? Von Anarbi heißt es doch auch, dass sie ihn einmal gleichzeitig an zwei Orten gesehen haben …«
    Darauf brach ein solches Stimmengewirr los, dass nur einzelne Wörter herauszuhören waren. Hände mit gespreizten Fingern flogen hoch, doch Schläge waren vorerst nicht zu hören, und es sprang auch niemand auf.
    »… das Weib noch bei ihm …«
    »… Aliyat …!«
    »… war doch früher …! Aliyat … Aber jetzt eine ganz junge … wie sie heißt, weiß ich nicht …«
    »Los, gehen wir hin!«, sagte, etwas blass geworden, Aliyat, und alle drei begaben sich zum Ort des Streits.
    Jemand ächzte, als er Scharlach erblickte, jemand drehte sich um und packte den Nachbarn bei der Hand. Die Schreihälse verstummten einer nach dem anderen, der Streit kam zum Erliegen und die Leute in Bewegung, standen von Kissen und Teppichen auf. Man hörte leise, zaghafte Begrüßungsworte. Gorcha, der mit dem Rücken zu

Weitere Kostenlose Bücher