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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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länger hierbleiben. Dafür müssen wir sorgen.«
    Sie wagten nur deshalb, offen zu sprechen, weil sie Maya oben auf der Terrasse wussten. War sie erst einmal dort, konnten Stunden vergehen, bis sie wieder den Weg hinunterfand, oft erst bei Einbruch der Dunkelheit. Doch Djamila, die festgestellt hatte, dass sie das Dattelgebäck zu Mayas Tee vergessen hatte und noch einmal in die Küche hinabgelaufen war, hörte sie sehr wohl. Zorn wallte in ihr auf, und gleichzeitig verspürte sie Furcht. Furcht um das Wohlergehen der jungen Frau, die sie so fest ins Herz geschlossen hatte. Wie die Tochter, die zu haben ihr nie vergönnt gewesen war und die sie deshalb mit aller Hingabe und Liebe umsorgte, zu der sie fähig war. Wie eine Löwenmutter, die ihr Junges bedroht sieht, war sie daher wild entschlossen, dass niemand es wagen durfte, Maya Schaden zuzufügen.
    Dieser Entschlossenheit bedurfte es bereits, als Djamila am Folgetag Mayas Hilferufe hörte. Sie ließ den Wäschestapel, den sie eben aus dem Innenhof geholt hatte, fallen und rannte in Richtung der Kammer, die sie beide bewohnten. Maya drückte sich gegen den Rahmen der Türöffnung und starrte verängstigt auf den Boden des Zimmers, auf dem sich eine Schlange zusammenringelte. Eine Spirale graubrauner Schuppen, die den gefleckten, dreieckigen Kopf umschloss, die um sich selbst kreiselte und ein rasselndes Geräusch erzeugte.
    »Beweg dich nicht!«, befahl Djamila ihr mit fester Stimme und drückte ihren Arm. »Dann tut sie dir nichts! Ich komme gleich wieder!«
    »Djamila«, rief Maya ihr hinterher, als sie sie davonlaufen sah. Sie schloss die Augen, öffnete sie dann wieder, um die Schlange nicht aus dem Blick zu verlieren, bemüht, das Zittern in ihrem Körper zu unterdrücken und regungslos zu bleiben.
    Schwer atmend vom schnellen Lauf kehrte Djamila zurück, einen dicken Ast in der einen Hand, in der anderen einen Stein, der zum Mahlen von Getreide gebraucht wurde. Mit sanften Bewegungen schlich sie auf die Schlange zu, den Ast mit dem gegabelten Ende erhoben. Djamila gab gurrende und zischende Laute von sich, machte kleine Bewegungen mit dem Stock, um das Reptil zu reizen, bis es tatsächlich seinen Kopf nach vorne schleuderte und Djamila blitzartig zustieß, den Kopf der Schlange zwischen der Astgabelung auf dem Boden fixierte und mit dem Stein zuschlug, mehrfach und mit aller Kraft, bis kein Geräusch mehr zu hören war. Sie löste den Stock vom Boden und schob ihn unter den Leib des toten Tieres, der links und rechts hinunterbaumelte wie ein Tau, und schaufelte es mit angewiderter Miene zum Fenster hinaus.
    »Ich … ich hatte Angst, dass sie mir nachkommt, wenn ich davonlaufe.« Mayas Stimme klang dünn und kläglich, als wollte sie sich für ihr Verhalten entschuldigen. Djamila legte Stock und Stein beiseite und schüttelte den Kopf. »Das war gut so. – Komm«, flüsterte sie, und zog Maya mit sich, hinauf auf die Terrasse.
    In wenigen Worten schilderte sie Maya, was sie vom Gespräch der Frauen belauscht hatte. Maya starrte nur stumm vor sich hin; allein das Öffnen und Schließen ihrer geballten Fäuste verriet, welche Gefühle in ihr tobten. Sie schwieg lange, nachdem Djamila ihre Rede beendet hatte. Schließlich wandte sie ein: »Die Schlange kann doch auch so hineingekommen sein.« Die Zaghaftigkeit, mit der sie ihre Worte sprach, ließ jedoch ahnen, dass sie selbst nicht daran glaubte, auch wenn ihr unvorstellbar schien, dass die Frauen, die sie so freundlich aufgenommen hatten, sie plötzlich so sehr hassen sollten. Grundlos, in Mayas Augen.
    »Kind«, Djamila ergriff ihre Hand, legte sie in ihren Schoß, »diese Schlangen gibt es nur in der Wüste. Sie wandern nicht von allein in die Häuser einer Stadt.« Als sie die Todesangst in Mayas Augen sah, fügte sie rasch hinzu: »Bestimmt wollten sie dir nur einen Schrecken einjagen. Es waren genug Frauen in der Nähe, die wissen, wie man sie tötet. So wie ich.« Sie drückte Mayas Hand. »Rashad muss uns helfen.«
    Maya ließ diese Worte auf sich wirken. Weshalb waren Coghlans Männer noch nicht eingetroffen? Waren sie womöglich schon längst hier, wurden sich aber mit dem Sultan nicht einig? Je länger sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass Djamila recht hatte. Rashad musste ihnen helfen – Rashad würde zumindest wissen, was zu tun war.
    Sie entzog Djamila ihre Hand und fingerte an ihrem Schal herum, an dessen Ende sie die antike Münze geknotet hatte, und reichte sie Djamila.

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