Unter dem Safranmond
Verse geritzt, die letzten, die von ihm überliefert waren.
Diese Zeilen, das Einzige, was von seinem Leben und traurigen Schicksal geblieben war, berührten Maya sehr, und sie las sie mehr als einmal. Als Djamila ihr Tee und Obst auf die Terrasse hinaufbrachte und ihr über die Schulter sah, klappte Maya das Buch zu und reichte es ihr. Djamila schüttelte den Kopf und hob mit einem Ausdruck der Verlegenheit die Schultern.
»Du kannst nicht lesen?«, versuchte Maya zu raten, und Djamila nickte. Maya ergriff ihre Hand. »Verzeih, das wusste ich nicht. Magst … magst du es lernen?« Djamila hielt einen Moment inne, dann nickte sie wieder, eifrig, und mit einem Glanz in den Augen.
Wie seltsam , dachte Maya oft in den Stunden, in denen sie und Djamila sich über Papierbögen beugten, mit Feder und Tinte hantierten, die der Sultan auf Mayas Bitte hin zur Verfügung gestellt hatte. Wie seltsam – ich, eine Fremde, bringe Djamila die Zeichen ihrer eigenen Sprache bei.
Während Maya Djamila Lesen und Schreiben lehrte und immer ein Buch mit sich trug, wohin sie auch ging, ob in ihr eigenes Gemach, durch die Flure oder hinauf auf die Terrasse, verflog die Zeit, ohne dass sie es merkte. Mit den Geschichten Sheherazades, die auf Arabisch derber waren, sinnlicher, aber auch poetischer als in der Übersetzung, die Antoine Galland Anfang des vorigen Jahrhunderts angefertigt hatte, schien es keine Vergangenheit mehr zu geben, der sie nachhing, kein Morgen, an das sie einen Gedanken verschwendete, nur immerwährendes Jetzt.
Genauso wenig verschwendete sie einen Gedanken an das, was hinter ihr lag, wenn der Sultan sie aufsuchte und sich sowohl nach ihrer Lektüre als auch nach ihrem Wohlbefinden erkundigte. Dass sein Blick schimmernd war, sein Gang leicht und federnd, bemerkte sie nicht.
Doch seine Frauen sahen es sehr wohl. Es gefiel ihnen nicht, und ihre Herzen fingen an, sich gegen die Fremde in ihrer Mitte zu verschließen.
Es begann harmlos: rasch niedergeschlagene Augen, sobald Maya sich den Frauen näherte, hastig gemurmelte Entschuldigungen, der Reis brenne an, oder das Feuerholz sei ausgegangen, mit denen sie davoneilten; vorgeschützte Müdigkeit, wenn es sich um die abendlichen Zusammenkünfte handelte, oder ein Kind, das sich nicht wohlfühlte und der Fürsorge seiner Mutter bedurfte; ein Buch, von dem Maya sicher gewesen war, es neben ihr Bett gelegt zu haben, das aber verschwunden war.
Als Maya eines Nachmittags in ihre Schlafkammer ging, um das Holzkästchen zu holen, in dem sie die Schreibutensilien aufbewahrte, lag es umgekippt auf dem Boden, die zerbrochenen Federn daneben, und auf ihrem Laken prangte ein schwarzer Tintenteich. Ein Versehen, glaubte sie, vielleicht beim Saubermachen geschehen. Ebenso ein Missgeschick wie die irrtümlich in einen der Salbentiegel geratene Zutat, die Djamilas Fingerspitzen rötete und schmerzhaft brennen ließ, noch ehe sie die weißliche Pomade nach dem Bad auf Mayas Haut aufgetragen hatte. Allein Djamila, mit Weihrauchessenz verarztet, der das Leben in einem Sultanspalast vertraut war, drängte sich ein Verdacht auf. Ohne Maya diesen mitzuteilen, beschloss sie, Augen und Ohren offenzuhalten. Umso mehr, als am Tag darauf der Boden ihrer gemeinsamen Kammer mit indigoblauen und weißen Tuchfetzen übersät war, dazwischen die fein säuberlich mit einem scharfen Messer zerschnittenen Stiefel.
»Habt ihr gesehen, wie er sie anblickt?« Adiba, die erste Gemahlin des Sultans, schnaubte förmlich vor Wut. »Er besucht sie häufiger als uns!«
»Aber warum?«, gab Munawwar, die zweite Gemahlin, zurück. »Hätte sie goldenes oder kupfernes Haar und Haut wie Milch, könnte ich es verstehen. Aber sie sieht aus wie eine von uns!«
»Und trotzdem«, ließ sich Zaynab vernehmen, die dritte und jüngste Gemahlin von Sultan Salih, »übt sie ihren Reiz auf ihn aus. Sie ist jung und kräftig, sie kann viele Söhne haben!«
»Und was wird dann aus uns?«, äußerte Munawwar, was jede von ihnen sich fragte.
»Er wird sie uns vorziehen, und ihre Söhne den unseren«, ergänzte Adiba bitter.
»Aber er wird sie ihren Leuten zurückgeben müssen, sobald diese in Ijar eintreffen«, versuchte Zaynab, die stets um Harmonie bemüht war, die anderen beiden zu beruhigen.
Eine kleine Pause entstand, bevor Adiba erneut das Wort ergriff: »Wenn sie aber nicht gehen will? Ihr seht doch, wie sie ihn umschmeichelt – und wie geschickt sie es anstellt!« Und leise fügte sie hinzu: »Sie darf nicht
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