Unter dem Safranmond
er hatte weder damit gerechnet, dass Coghlans Männer ein Pferd verlieren würden, noch damit – Rashad entfuhr ein verächtlicher Laut –, dass sie offensichtlich einen Trottel als Reiseführer angeheuert hatten, der zu ängstlich war, um die Strecke zügig zu beschreiten. Ihr verlängerter Aufenthalt in Nisab war ebenfalls nicht vorauszusehen gewesen und der Wankelmütigkeit des dortigen Sultans zuzuschreiben. Doch nachdem Ali mehrere Tage vergeblich nach der Karawane Ausschau gehalten hatte und nach Nisab zurückgeritten war, hatten sein Verhandlungsgeschick und ein gut gefüllter Beutel dieses Hindernis rasch beseitigen können. Am wenigsten jedoch hätte Rashad mit der Eifersucht und Niedertracht der Frauen gerechnet und damit, dass ausgerechnet diese damit seinen ausgeklügelten Plan zunichte machen würden. Und wie schlau sie es angestellt hatten, dass niemand ihnen etwas nachweisen konnte, Djamilas Wort gegen das der Gemahlinnen des Sultans stünde! War es am Ende gar sein größter Fehler gewesen, Mayas Anziehungskraft zu unterschätzen – weil er diese vor sich selbst, zu seinem eigenen Schutz, heruntergespielt hatte?
Was sein Sultan begehrte, gehörte ihm. Und auf seine Frauen ließ er nichts kommen. Rashad hatte ihm Treue geschworen, stand mit seiner eigenen Ehre und der seines Stammes für die Einhaltung dieses Schwures ein. Er war seinen Männern verpflichtet, genau wie seiner Frau und seinen Kindern. Half er Maya, aus dem Palast zu fliehen, stellte er sich gegen den Sultan, gegen Ijar, seinen eigenen Stamm und seine Familie. Von all dem Geld, das diese Unternehmung bislang gekostet hatte, das aus der Schatulle Sultan Salihs stammte und somit unwiederbringlich verloren ginge, nicht zu reden.
Auf der anderen Seite jedoch stand rafiq , und damit sein Versprechen, Maya zu beschützen, das nicht weniger wog. Stieße ihr etwas zu, solange er sie nicht eigenhändig den Engländern übergeben hätte, würde er sich mit ebenso viel Schuld beladen. Wie schnell könnte dies geschehen – ein Stoß aus dem Fenster, der hinterher als Unglück oder Freitod dargestellt würde.
Rashad sah sich an einem Punkt angelangt, an dem es kein Richtig oder Falsch mehr gab. Nur Konsequenzen, die es abzuwägen galt. Gleich, wozu er sich entschließen würde – er würde seine Ehre verlieren. Das Kostbarste, was ein Krieger besaß, kostbarer als das Leben selbst.
Als der Morgen graute, stand Rashad ibn Fahd ibn Husam al-Dins Entscheidung fest. Und er bat Allah, ihm zu vergeben.
12
Der nächste Tag war der längste in Mayas Leben. Die Stunden krochen endlos dahin, während sie sich auf ihrem Bett zusammengekauert hatte und bei jedem Geräusch zusammenschreckte. Um einen Anschein von Normalität zu wahren, hatte Djamila unter den Frauen des Palastes verbreitet, Maya fühle sich nicht wohl – »nichts Schwerwiegendes, eine kleine Unpässlichkeit, ja, bestimmt das ungewohnte Essen« –, und sich weiterhin im Haushalt nützlich gemacht, wie sie es sich angewöhnt hatte, sah aber immer wieder nach ihrem Schützling und sprach ihr mit Blicken und Gesten Mut zu.
Was, wenn Rashad ihr nicht half? Wenn er zu spät kam, die Frauen schon längst einen Plan ausgeheckt hatten, sie endgültig loszuwerden? Würde er ihr helfen – galt rafiq , dieses merkwürdige, althergebrachte Gesetz, auch für einen solchen Fall? Je länger Maya nachgrübelte, desto mehr steigerte sie sich in Unsicherheiten und Ängste hinein, bis ihr Magen sich vor Übelkeit zusammenzog und wieder ausdehnte, sie kaum noch Luft bekam.
Endlich, eine gefühlte Ewigkeit nach ihrem letzten Besuch, eilte Djamila wieder herein und kniete sich vor Maya auf die weiche Unterlage. Sie löste ihren Schleier vom Gesicht, nahm danach Mayas Hände von deren angezogenen Knien und umklammerte sie fest. »Sei bereit!«, flüsterte sie ihr zu, und ihre dunklen Augen glänzten. »Rashad ist im Palast. Wenn der Muezzin zum Abendgebet ruft, werde ich die Frauen ablenken, und er kommt dich holen.«
Maya hielt den Atem an, stieß ihn in einem erleichterten Schluchzen wieder aus und erwiderte Djamilas Händedruck. Doch etwas in ihren Worten stimmte Maya nachdenklich. »Aber du wirst nachkommen«, versuchte sie bestimmt zu klingen. Es war keine Frage, es konnte keine sein, völlig ausgeschlossen.
Djamilas Augenbrauen hoben und senkten sich, zogen sich zusammen, als sie Mayas Blicken auswich, die darin zu lesen suchte. Mit ihren Daumen strich sie über Mayas Handrücken und
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