Unter dem Safranmond
worauf sie gehofft hatte, verstaute die überzähligen Bücher sorgsam wieder an ihrem Platz und wandte sich halb um, drei Bände in den gekreuzten Armen vor die Brust gepresst. »Shukran« , bedankte sie sich mit einem strahlenden Lächeln.
Sie hatte Bücher. Sie war gerettet.
Dachte sie.
11
Während die wachsamen Krieger des Sultans von Nisab eine gute Woche zuvor Rashad und seine Männer von al-Shaheen schon von Weitem an Kleidung und Reitstil erkannt und gemäß des vor langer Zeit festgelegten sayyir ungehindert hatten ziehen lassen, erschienen ihnen die Kamele und das Pferd mit den beiden hell gekleideten Fremden verdächtig. Deshalb ritten sie auf ihren eigenen Rössern der Gruppe entgegen und baten die Männer höflich, aber mit unmissverständlich im Anschlag gehaltenen Gewehren, ihnen zu folgen, um ihre Anwesenheit auf diesem Gebiet mit dem Sultan persönlich zu erörtern. Der Sultan von Nisab hörte sich die Angaben zu ihrer Herkunft und ihrer Absicht schweigend an. Konnte man Fremden trauen, die sich so weit ins Landesinnere vorgewagt hatten? Gaben sie nur vor, rein freundschaftliche Kontakte nach Ijar pflegen zu wollen und hegten in Wirklichkeit insgeheim feindliche Absichten gegen den befreundeten Sultan Salih? Und wie viel Geld mochte ihnen die Weiterreise nach Ijar wert sein – zwanzig Taler? Vierzig? Fünfzig oder gar mehr? Da der Sultan von Nisab kein Mann voreiliger Entschlüsse war, bot er seinen neu angekommenen Gästen daher großzügig Räume innerhalb seines Palastes an, sorgsam von seinen Kriegern bewacht, »damit den Fremden nichts zustoße« . In aller Ruhe sann er darüber nach, was am besten zu tun sei. Wog das Für und Wider ab und überlegt sogar, Sultan Salih eine Nachricht per berittenem Boten zu schicken.
Aber – gemach , ermahnte er sich selbst. Gemach.
Die Grenzen zwischen Tag und Nacht verschwammen, während Maya las. Zuerst war es mühselig, sich wieder in die fremde Schrift hineinzufinden, die Wellenlinien und Schnörkel und Punkte wahlweise auseinanderzuhalten oder zusammenzuziehen und sich deren Bedeutungen wieder zu entsinnen. Manche Wörter blieben ihr trotz allem ein Rätsel, und sie konnte sie nur erraten oder als Lücken stehen lassen. Doch der Zauber des geschriebenen Wortes versagte nicht, ließ Bilder vor Mayas innerem Auge wachsen, Szenerien, ganze Welten. Sie durchblätterte die steifen Seiten, brüchig vor Alter, die Kanten wellig, bis sie fand, was sie gesucht hatte: die Geschichte von König Shaddad und seiner Stadt der Säulen, Iram. Und darin erwähnt auch das alte Reich von Himyar, diejenigen von Hadramaut und Saba, hier, in al-Yaman . Ein wohliger Schauder durchfuhr Maya bei der Vorstellung, dass die überlieferten Geschichten möglicherweise wahren Ursprungs waren. So wie vielleicht auch noch unter »den Sanden« Überreste dieser alten Kulturen vergraben waren, irgendwo in den Weiten der Rub al-Khali. Doch sie legte die ineinander verschachtelten Erzählungen Sheherazades vorerst beiseite. Sheherazade, die des Abends eine Geschichte begann, aber nicht zu Ende brachte, damit der Sultan, begierig zu hören, wie sie ausging, Sheherazade am Morgen nicht köpfen ließ, wie er es mit den Frauen vor ihr getan hatte. Bis sie nach tausendundeiner Nacht mit ihrer Klugheit und Erzählkunst sein Herz gewonnen hatte.
Ein schmales Bändchen mit Versen hatte Maya noch gefunden, die die Geschichte von Qays ibn al-Mullawah ibn Muzahim, einem Beduinen aus dem Stamme Bani Aamir, erzählten. Zu diesem Stamm gehörte auch Layla bint Mahdi ibn Sa’d, auch Layla Al-Aamiriya genannt, und es war Qays’ Los, dass ihr sein Herz gehörte. Nur ihr, für immer. Er schrieb Gedichte für sie, sprach darin von seiner Liebe, seiner Leidenschaft, seiner Ergebenheit in das Schicksal, das sie füreinander bestimmt hatte.
Qays bat Laylas Vater um ihre Hand. Doch dieser war erzürnt über die Verse, die Qays verfasst und überall verkündet hatte, nannte es eine Schande, einen Verstoß gegen Sittlichkeit und Tradition, und gab Layla einem anderen Mann, der mit ihr in die Fremde ging. Als Qays von Laylas Vermählung hörte, floh er in die Wüste und wanderte ziellos umher. So lange, dass seine Familie irgendwann die Hoffnung auf seine Rückkehr aufgab und man ihn nur noch Madjnun, »den Verrückten«, nannte. Viele Jahre später fand man ihn tot in der Wildnis, auf Laylas Grab, umgeben von den Tieren, die seine Wanderung begleitet hatten. In einen nahen Felsen hatte er noch drei
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