Unter dem Safranmond
schüttelte schließlich den Kopf. »Siehst du«, begann Djamila langsam, den Blick unverändert auf Mayas Finger geheftet, »je länger sie glauben, du lägest hier mit Unwohlsein, desto größer wird euer Vorsprung sein. Würde ich ebenfalls verschwinden, wüssten sie auf der Stelle, dass du geflohen bist. Daher ist es besser, wenn ich bleibe.«
»Sie werden dich dafür bestrafen«, entgegnete Maya tonlos. »Das kann ich nicht zulassen, ich – « Sie wollte ihr die Hände entziehen, doch Djamila hielt sie unnachgiebig fest.
»Du musst!«
»Warum tust du das?« Tränen rannen über Mayas Wangen.
Djamila schwieg einen Moment, dann lief ein lautloser Seufzer durch ihren Körper, und sie zog Mayas Rechte zu sich heran. Als Maya gewahr wurde, dass Djamila sie auf ihre linke Brust legen wollte, zuckte sie zurück. Mit aller Kraft hielt Djamila sie fest, drückte Mayas Finger gegen die üppige Wölbung, in das Fleisch hinein, und Maya spürte darin harte, knollige Verdickungen, selbst durch den Stoff hindurch. »Djamila, du musst zu einem Arzt!«
Die Araberin schüttelte den Kopf. »Längst zu spät. Der Tod ist ein schwarzes Kamel, das sich vor jeder Tür niederlässt. Früher oder später muss jeder von uns auf dieses Kamel steigen. Und dem Tod entgegenzutreten ist besser, als vor ihm zu fliehen. Ich habe keine Angst vor dem, was mich erwartet.« Sachte legte sie Mayas Hände zurück auf deren Knie. »Wenn ich schon keinem Sohn, keiner Tochter das Leben schenken konnte, so lass mich wenigstens helfen, dir das deine zurückzugeben.« Ihr vernarbtes Kinn zitterte, doch ihr Mund lächelte. »Dann hat das meine zumindest diesen Sinn gehabt.«
Sie richtete sich auf den Knien auf und beugte sich vor, nahm Mayas Gesicht in ihre Hände, küsste sie sanft auf die Stirn, auf die Wangen, links und rechts. Maya schlang die Arme um sie, drückte sie so fest an sich, wie sie nur konnte, um ihr zu zeigen, wofür Worte nicht ausreichten. Djamila befreite sich aus Mayas Umarmung, strich ihr mit den Fingerspitzen über die Wange.
»Lebe glücklich, lebe frei«, raunte sie, ehe sie aufstand und hastig die Kammer verließ.
Das war das letzte Mal, dass Maya sie sehen sollte.
Es war der Moment, in dem die Sonne sich rot verfärbte und hinter den Horizont glitt, dass die Muezzine ihren klagenden, heiligen Gesang anstimmten, weit über Stadt und Land hinaus schallend, bis hinter die Mauern des Palastes von Ijar.
Rashad al-Shaheen stand im Schatten eines Flures, halb hinter einer Fensteröffnung verborgen, und sah in den Innenhof hinab. Gerade noch rechtzeitig hatte er sich von seinem Sultan verabschiedet, der ihm ohne Misstrauen geglaubt hatte, er müsse heute noch den Engländern entgegenreiten, um diese gebührend nach Ijar zu geleiten, und deshalb könne er Sultan Salih leider auch nicht zum Gebet begleiten. Dass Beduinen und Krieger die Notwendigkeit zu reisen über die der Gebete stellten, war allgemein bekannt – und war nicht auch Rashads Pferd dementsprechend bepackt gewesen? Doch während der Sultan sich wie die übrigen Männer des Palastes in den Gebetsraum begab, hatte Rashad nicht das Gebäude verlassen, wie Sultan Salih annahm; stattdessen hatte er dort einen Durchgang zum Trakt der Frauen gesucht und gefunden, wo er ihn angesichts der Bauweise des Palastes vermutet hatte. Hier wartete er auf eine günstige Gelegenheit.
Ebenso war es ihm zuvor gelungen, bei seinem Eintreffen im Palast ein zusammengefaltetes Papier hervorzuziehen und Sultan Salihs Erlaubnis zu erhalten, Djamila vor dem Tor zu den Frauengemächern zu sehen, um ihr eine Nachricht der Engländer an Maya geben zu dürfen, die ihm Ali gebracht hatte. Dort hatte er ihr das unbeschriebene Blatt überreicht und in wenigen Worten geschildert, was er zu tun beabsichtigte und wann, und Djamila hatte sich aus freien Stücken bereit erklärt, das Ihre beizutragen, ehe Rashad wieder zum Sultan hinaufgegangen war.
Hufschläge, hohl von Boden und Wänden des Innenhofs zurückgeworfen, erregten seine Aufmerksamkeit, und er unterdrückte den Anflug eines zufriedenen Lächelns. Es war ebenfalls nicht schwer gewesen, Salim glaubhaft zu machen, der Sultan wünsche zur Zeit des Salatu-I-Maghrib , des Gebetes zu Sonnenuntergang, sein Kommen, um danach gemeinsam mit ihm und Rashad zu speisen und das weitere Vorgehen mit den Engländern zu besprechen, denn Salim vertraute ihm. Ihn einzuweihen hatte Rashad weder gewagt noch gewollt. Es wäre Salims Pflicht gewesen, ihn
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