Unter dem Safranmond
denken, und er hütete sich, diese gegenüber Mayas energischer Tante zu erwähnen.
»Haben Sie denn Aussicht auf eine Versetzung?« Über Jonathan – der Gute, Gott hab ihn selig ; Tante Elizabeth konnte nie an ihren Lieblingsneffen denken, ohne dass ihr sofort Tränen in die Augen schossen – hatte die gesamte Greenwood-Sippe seinerzeit schnell von Ralphs Strafversetzung erfahren. Dieser nickte. »Ich hoffe es. Der Colonel war erleichtert, dass Maya unter allen Umständen fortwollte. Frauen sind in Aden nicht gerne gesehen. Er wird an oberster Stelle eine Empfehlung für mich aussprechen, als Gegenleistung für Mayas Rettung.«
Das war gewiss das Beste an dieser ganzen Geschichte: Nachdem Lieutenant Garrett und Private Fisker nach ihrer Rückkehr jeweils ihren schriftlichen Rapport abgegeben hatten, war der Colonel voll des Lobs gewesen. Wie Private Fisker gehofft hatte, war er sogleich zum Corporal befördert worden; nicht zuletzt für seine heldenhafte Rettung Lieutenant Garretts bei dessen Reitunfall am Pass von Talh. Aber nicht allein dafür.
Ralph hatte zuerst gezögert, als Fisker vorschlug, bei ihrer Rückkehr eine korrigierte Version von ihrem Zusammentreffen mit Mrs. Garrett zum Besten zu geben. Reichlich ausgeschmückt, als hätten sie Maya beide unter Einsatz ihres Lebens einer Horde bis an die Zähne bewaffneter Banditen entrissen. Niemand würde ihnen je nachweisen können, dass sie sich abgesprochen hatten und unabhängig voneinander Coghlans Stab eine glatte Lüge präsentierten (von Maya einmal abgesehen; aber es war nicht zu erwarten, dass Coghlan oder Playfair sie dazu befragten; schließlich war sie lediglich eine Frau, und noch dazu der Stein des Anstoßes). Beide würden enorm davon profitieren; vor allem hatte Fisker mehrfach und nachdrücklich darauf hingewiesen, seine Verpflichtung zu dieser aufreibenden Mission sei hauptsächlich Ralphs Schuld gewesen. Zu guter Letzt hatte Ralph zugestimmt – alles , nur um aus Aden fortzukommen. Ab und zu plagten ihn Gewissensbisse, wenn er daran dachte; wie ein Held fühlte er sich wahrhaftig nicht. Wenigstens war er Tante Elizabeth gegenüber bei der Wahrheit geblieben; darauf war er stolz.
»Möchten Sie nicht doch noch ein paar Tage bleiben?«, hakte diese nun freundlich nach. »Zumindest bis es Maya etwas besser geht?«
Ralphs Schultern zuckten. »Wozu? Ich kann ohnehin nichts tun, sie nimmt mich kaum wahr. Je schneller ich alles geklärt habe, umso besser ist es auch für sie. Bei Ihnen weiß ich sie in den besten Händen, Mrs. Hughes.«
Da Elizabeth Hughes in den über zwei Jahrzehnten an der Seite ihres seligen Gatten gelernt hatte, sich nicht lange über merkwürdig anmutende Verhaltensweisen der Männer zu wundern – zumal in Zeiten menschlicher Krisenfälle –, insistierte sie nicht länger, verabschiedete ihn freundlich und läutete nach Betty, ihn zur Tür zu geleiten. Sie selbst indes klappte ihren Sekretär auf und setzte sich zurecht, um in aller Eile ein paar Zeilen zu verfassen, in denen sie Gerald Greenwood darüber informierte, dass seine Tochter heute aus ihrem arabischen Abenteuer heimgekehrt sei. Gesund zwar, kein Grund zur Sorge, aber doch sehr angegriffen. Daher bitte sie um Marthas und seinetwillen, wie aus Rücksicht auf Maya darum, erst in ein paar Tagen anzureisen, sobald Letztere sich etwas erholt habe.
Ihre Feder noch in der Hand, sinnierte sie einige Augenblicke über all das Ungemach, das die Familie ihres Bruders in so kurzer Zeit heimgesucht hatte. »Ja nun«, seufzte sie schließlich, verstaute Schreibgerät und Papier wieder in den dafür vorgesehenen Fächern und verschloss das Möbel, »die Wege des Herrn sind unergründlich.«
Sie schickte Betty mit dem beschriebenen Blatt zum Postamt, ein Telegramm nach Black Hall aufzugeben, und stieg dann wieder die Treppen empor, um an Mayas Bett zu wachen.
2
Das laute Dröhnen einer Kirchenglocke drang in Mayas Halbschlaf, immer neu ansetzend, ehe es gänzlich verhallt war, gefolgt von hellerem Gebimmel. Ein Klang, der vertraut war, jedoch fremd geworden, und es war nicht das Lied der Glocken von St. Giles. Maya gähnte herzhaft, streckte sich und stützte sich auf die Ellenbogen. Ein leichter Luftzug strich durch ihr Haar. Sie legte den Kopf in den Nacken und blinzelte schräg hinauf zum Fenster, das eine Handbreit aufgeschoben war, sah durch Spitzengardine und Glas in einen sommerlich blauen Himmel, an dem Wolkenfetzen hingen, leicht und zart wie Zuckerwatte.
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