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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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zurück nach Indien. Und es stünde ihr frei, ihn zu begleiten oder bei ihrer Familie zu bleiben, wie es viele Frauen der in Indien stationierten britischen Soldaten zu tun pflegten. Falls Vater und Mutter mich wieder aufnehmen, nach allem, was geschehen ist … Einmal mehr war Maya vom Wohlwollen anderer Menschen abhängig. Unfrei. Wird das je anders sein? »Lebe glücklich – lebe frei.« Ich werd’s versuchen, Djamila.
    Eines Tages , versprach sie sich. Eines Tages hätte sie auch all das vergessen, was ihr in diesen eineinhalb Jahren widerfahren war. Dann würde es nicht mehr sein als eine vergilbte Photographie, ein Schattenbild in ihrem Gedächtnis, wie von einem besonders intensiven Traum – eine Schleife auf ihrem Schicksalsweg, nichts weiter. Zwei Nächte – was bedeuten schon zwei Nächte…
    Als Tante Elizabeth von ihrem sonntäglichen Kirchgang aus St. Mary-the-Virgin in der Church Street zurückkehrte, fand sie Maya bäuchlings schlafend vor. Sachte zog sie ihr den Schal aus den Fingern der einen Hand, worauf Maya verschlafene Laute von sich gab und sich auf den Rücken rollte, ihre andere Hand weiterhin fest zur Faust geballt. Ihre Tante hängte den Schal sorgsam über das Fußende des Bettes und lauschte Mayas Gemurmel. Ein Kauderwelsch, das sie nicht verstand und das klang wie »Rashad. Rashad« .
    »Armes Ding«, flüsterte Tante Elizabeth und strich ihrer Nichte sanft über das wirre Lockenhaar. »Was hast du nur durchmachen müssen! Aber ich verspreche dir: Die Zeit heilt alle Wunden!«
    Doch weder Maya noch ihre Tante bedachten – die eine, um sich selbst zu schützen, die andere aus Unkenntnis –, dass das Herz des Menschen niemals etwas vergisst, was einmal darin Wurzeln geschlagen hat, wird es ihm auch viel zu bald wieder gewaltsam entrissen. Auch dann nicht, wenn das Schicksal etwas Neues darin sät.
    »Ganz hat Betty den Grauschleier nicht herausbekommen«, seufzte Tante Elizabeth zwei Tage später im Salon und zupfte an Mayas Kleid herum. Es war eines der Kleider aus leichtem Musselin, das aus einer der bengalischen Schneiderwerkstätten Adens stammte und bei ihrer Abreise von dort hastig zu ihren anderen Sachen in die Reisetasche gestopft worden war. Mit gerümpfter Nase legte sie einen der von Betty gestärkten und mit einem heißen Eisen geplätteten Volants zurecht und bürstete ihn mit den Fingern ab. »Das muss ja eine grässliche Luft dort sein, die die Stoffe derart verhunzt! Aber die Leute dort verstehen ein bisschen was vom Nähen, alles ganz ordentlich gearbeitet, und für heute muss es reichen, ausnahmsweise.« Sie strich über Mayas Arme und umfasste die Hände ihrer Nichte. »Ich habe mir überlegt …« Ein tiefer Atemzug. »Vielleicht sollten wir deinen Eltern nichts davon sagen. Von dieser … dieser Sache in Arabien. Der arme Gerald war ohnehin schon so in Sorge, als keine Antwort auf seine beiden Briefe kam. Zumal nachdem dein Bruder …« Aus ihrem Ärmel zog sie ein Taschentuch, wischte sich über die plötzlich geröteten Augen und schnaubte lautstark und wenig damenhaft hinein. Tröstend streichelte Maya ihr die Schulter, und ihre Tante nickte seufzend, tätschelte Mayas Hand. Sie horchte auf, nahm Mayas Finger von ihrer Schulter und drückte sie fest. »Ein Wagen ist vorgefahren. Das werden sie sein.« Mit gerafften Röcken eilte sie davon.
    Maya trat ans Fenster, schob die Falten der bodenlangen Tüllbahn beiseite und spähte hinunter auf das Pflaster des Sydney Place. Eine geräumige Kutsche mit herabgelassenem Verdeck hielt vor dem Eisenzaun des Reihenhauses. Schwarz war alles hinter den beiden Apfelschimmeln und dem Kutscher mit seinem grünen Anzug und Zylinder: der Wagen, die Kleider und Hauben aus Krepp der beiden Damen, die über den Rücken hängenden Schleier, Geralds Gehrock, denn das Trauerjahr für Eltern, die ein Kind verloren hatten, und die sechs Monate für ein verstorbenes Geschwister waren noch nicht um.
    Gerald öffnete den Wagenschlag und stieg aus, nickte Betty zu, die zur Begrüßung knickste, und sah mit ernster Miene an der Hausfassade hinauf. Sein Gesicht wirkte grau, hob sich kaum vom Haupthaar unter dem Zylinder und dem Bart ab. Er reichte Martha seine Hand, um ihr herauszuhelfen. Maya hielt es keine Sekunde länger im Salon, doch bereits an der Treppe verließ sie der Mut. Sie klammerte sich an den Handlauf des Geländers und sah in die Halle hinab. Betty nahm Geralds Spazierstock und Zylinder entgegen, und Tante Elizabeth tauschte

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