Unter dem Safranmond
mit dem Besuch Wangenküsse, erkundigte sich nach der Fahrt und der allgemeinen Befindlichkeit. Mit klopfendem Herzen und weichen Knien, eine Hand in die Rockfalten gekrallt, ging Maya die Stufen hinunter.
Gerald Greenwood erblickte seine Tochter als Erster. Sein Gesicht zeigte keine Regung, doch ein Glanz schien in seinen braunen Augen auf. Er breitete nicht die Arme aus; hob nur leicht die nach vorne gerichteten Handflächen zur Seite hin an. Doch Maya verstand ihn auch so, sprang die letzte Stufe hinab, flog ihm entgegen und umschlang ihn mit aller Kraft.
»Mein Mädchen«, hörte sie ihn flüstern, während er sie festhielt, »mein törichtes, unbesonnenes Mädchen.« Wie zerbrechlich er sich unter ihrer Umarmung anfühlte, wie zusammengeschrumpft unter der Last von Kummer und Schmerz!
»Es tut mir so leid«, gab sie unter Tränen zurück, »so unendlich leid!«
»Ist gut. Ist doch schon gut.« Die Art, wie seine Hand über ihren Rücken fuhr, in einer Mischung aus Streicheln und sachtem Klopfen, verriet seine Unbeholfenheit, aber auch seinen inneren Aufruhr. »Hauptsache, wir haben dich gesund zurück.«
Angelina drängelte sich dazwischen und schob sie auseinander, hängte sich an Mayas Hals; die aus dem Augenwinkel sah, wie ihr Vater mit dem Rücken der Faust über seine Augen fuhr, über die Nase, sich dann verstohlen in sein Taschentuch schnäuzte.
»Du dummes Ding«, schniefte Angelina an ihrem Ohr. »Ich dachte schon, ich sehe dich niemals wieder. Deine Besserwisserei hat mir ganz schön gefehlt!« Hastig, als sähe sie sich selbst bei diesem Anfall von Sentimentalität ertappt, wand sie sich aus der Umarmung ihrer älteren Schwester und musterte entsetzt deren Kleid. »Du lieber Himmel, was trägst du denn für einen Fetzen?« Konsterniert rückte und zupfte sie an ihrer von den Bindebändern tadellos am Platz gehaltenen Kopfbedeckung. »Höchste Zeit, dass du wieder in die Zivilisation zurückgekehrt bist!« Maya lachte, vorsichtig und tastend. Als sie sah, wie Angelina ihr zuzwinkerte – die großen blauen Augen hinreißend tränenfeucht –, berührte sie zärtlich ihre kleine Schwester am Arm, und für einen Moment verschränkten sich ihrer beider Finger.
Blieb nur noch ihre Mutter. Stocksteif aufgerichtet, die Hände in den schwarzen Spitzenhandschuhen vor dem Schoß ineinander verkrampft, wirkte sie auf Maya wie ein Standbild stummen Vorwurfs. Eine Statue, in deren Gesicht der Bildhauer des Schicksals in den vergangenen eineinhalb Jahren ausgeprägte Linien beiderseits der Mundwinkel eingemeißelt hatte, unter den Augen so lange mit dem Stichel herumgraviert hatte, bis sich die Oberfläche dort faltig und umschattet zeigte. Was Martha Greenwood nicht nach außen trug, bildete sich in ihrem Gesicht ab, und es war kaum zu unterscheiden, ob die schimmernden Strähnchen an ihren Schläfen noch golden oder schon silbern waren. Wider Erwarten streckte sie die Hand nach ihrer Tochter aus. Fügsam ging Maya ihr entgegen und ergriff sie. Mit der anderen Hand fuhr Martha ihr über die Schulter, den Arm, Wangen und Kinn, als müsste sie sich vergewissern, dass Maya tatsächlich unversehrt zurückgekehrt war, bis sie sie wortlos in die Arme schloss. Kein Laut entfuhr ihr, aber Maya spürte, wie die Schultern ihrer Mutter unter ihren Händen bebten, und es war fast so, als sei es Maya, die Trost spendete, und Martha diejenige, die ihn benötigte. Immer noch stumm, trat Martha einen Schritt zurück und bemühte sich räuspernd um Haltung. Doch als Betty ihrer Dienstherrin meldete, draußen sei alles vorbereitet, und Tante Elizabeth sie allesamt in den Garten zum Tee dirigierte, hielt Martha Greenwood sich bei ihrer älteren Tochter untergehakt.
Dennoch war die Atmosphäre gezwungen, als sie im schmalen, ringsum durch Mauern umfriedeten Garten beieinandersaßen, unter dem Kirschbaum, zwischen Rhododendren und Rosensträuchern, Vogelgezwitscher und Bienengesumm. Bei Tee und den berühmten Bath buns – kleine runde Hefekuchen mit Rosinen und Hagelzucker – mit Butter und Marmelade wurden Belanglosigkeiten ausgetauscht, die nur allmählich die in der langen Zeit entstandene Kluft zwischen Maya und ihrer Familie überbrückten.
»Alles, was ich an Worten niederschrieb, kam mir platt und nichtssagend vor«, erklärte Maya ihr Schweigen, beide Unterarme auf der Tischkante ruhen lassend. Sie schob den Teelöffel auf der Untertasse hin und her und atmete tief durch. »Als ich mich dann entschlossen hatte,
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