Unter dem Safranmond
Er biss mit seinen verbliebenen Zähnen – fünf waren ihm im Laufe der Zeit abhandengekommen – in ein fetttriefendes Stück Fleisch und sprach mit vollem Mund weiter: »Das Kriegerhandwerk hast du von Kindesbeinen an erlernt, das habe ich gleich gesehen, ebenso wie das Reiten. Du musst ein Meister in beidem gewesen sein. Das Geld, das ich dir gebe, reichst du sogleich an den nächsten Bettler weiter, sparst es nicht wie alle meine anderen Begleiter über die Jahre, die, wenn sie das Heimweh plagte und sie genug beisammenhatten, sich ein Stück Land oder ein paar Ziegen und Schafe kauften und sich eine Frau und Kinder leisteten. Ich habe auch bemerkt, dass du die Wege im Süden sehr gut kennst. Trotzdem hast du selbst auf den gefährlichsten Pfaden nicht halb so aufmerksam um dich geblickt wie im Süden, hast du nie auch nur für einen Herzschlag lang deine keffiyeh vom Gesicht genommen. Besonders nicht auf dem Gebiet des Sultanats von Ijar.«
Rashad schwieg, und Yusuf sah, dass er nicht einmal zusammenzuckte, als er diesen Namen erwähnte. Seine Stimme wechselte unvermittelt die Klangfarbe, geriet wärmer, fast liebevoll.
»Wovor flüchtest du, Abd ar-Ra’uf?«
Sein Gegenüber blieb stumm und reglos.
»Welche Schuld hast du auf dich geladen?«
»Wenn Euch weiterhin an meinen Diensten liegt, so lasst es hierbei bewenden.« In Rashads Tonfall schwang unverhohlenes Grollen mit. Yusuf unterdrückte ein Grinsen, ließ dem Lächeln, das darauf folgte, aber dann doch freien Lauf.
»Ich habe keine Kinder, habe nie eine Frau gefunden, die mein Leben mit mir hätte teilen wollen, noch eine, deren Eltern an mir Gefallen gefunden hätten. Du willst das vielleicht nicht hören … Aber wenn ich einen Sohn gehabt hätte, hätte ich mir einen wie dich gewünscht.«
»Ihr wisst nicht, was Ihr da redet«, kam es tonlos von gegenüber.
»Und du weißt nicht, dass es Geheimnisse gibt, die das Herz vergiften, trägt man sie zu lange mit sich herum. Bei dir ist es bald so weit, Abd ar-Ra’uf oder wie immer dein Name sein mag. Ich sehe es in deinen Augen.« Yusuf seufzte und fügte leiser hinzu: »Es geht um eine Frau, nicht wahr?«
»Wie kommt Ihr darauf?« Der hörbare Schmerz, den selbst ein Rashad, der einmal ein Krieger von al-Shaheen gewesen war, nicht zu unterdrücken vermochte, rührte Yusuf. Er lachte, herzlich dieses Mal.
»Ach, mein Junge – das Flüstern einer schönen Frau kann weiter hinaus in die Welt dringen als das Brüllen eines Löwen. Du bist kein Mann, der für Ruhm oder Geld ein Verbrechen begeht, auch das weiß ich über dich. Und du warst bislang der einzige meiner Männer, der sich nie nach einem Paar hübscher Augen über dem Gesichtsschleier umgedreht hat oder den unverhüllten Mädchengesichtern der Tihama nachgeblickt hat.«
»Es ändert nichts, ob ich es Euch erzähle oder nicht.«
»Wenn dem so ist – dann kannst du dein Gewissen getrost bei mir erleichtern«, schloss Yusuf, ganz der Mann, der seit Jahr und Tag das Feilschen gewohnt war. »Dann findest du vielleicht endlich Ruhe. Was auch immer du getan haben magst – die Zeit hat gewiss schon eine dicke Schicht Wüstensand darübergeweht. Und außerdem«, er wischte sich seine Rechte am Boden ab und rülpste, »kannst du mich alten Mann nicht im Ungewissen lassen. Du würdest es dir nie verzeihen, stürbe ich, ohne dass du meine Neugierde befriedigt hast.«
Rashad schwieg. In dieser Nacht und in den beiden folgenden. Doch in der vierten Nacht entlang ihres Reiseweges, im Schein eines anderen Feuers, begann er zu erzählen.
»Man nannte mich Rashad ibn Fahd ibn Husam al-Din, und ich war ein Krieger von al-Shaheen, im Sold des Sultans von Ijar …«
Und wie einst Sheherazade benötigte er mehr als eine Nacht, um seine Geschichte vorzutragen. Wenn auch nicht tausendundeine.
13
Jonah Garrett trat von einem seiner unverhältnismäßig langen Beine auf das andere und unterdrückte ein Seufzen, während er neben Mayas Schreibtisch im zweiten Stockwerk des Hauses stand und wartete, bis seine Mutter das Heft mit seinen Hausaufgaben durchgesehen hatte, für die er sich der kratzigen Schuluniform und der dämlichen Krawatte, die er sich schon herunterriss, kaum dass er zum Schultor hinausgestürmt war, endlich entledigen durfte und stattdessen in das lange, schmale Gewand aus blauer Baumwolle schlüpfte, das ihm jedes Mal einen wohligen Seufzer entlockte, wenn er es endlich über seinen schlanken Körper streifen konnte.
»Tariq! Tariq«,
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