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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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von fünfzig Jahren hat Russland sein Herrschaftsgebiet auf europäischem Boden nahezu verdoppelt«, meldete sich Maya zu Wort, ohne sich von Angelinas warnendem Blick einschüchtern zu lassen. »Nur achthundertfünfzig Meilen trennen es von Wien, Berlin, Dresden, München und Paris. Vierhundertfünfzig Meilen von Konstantinopel und nur eine Handvoll Meilen von Stockholm. Eintausend Meilen von Britisch-Indien und genauso viele von Persien.«
    »Genauso ist es, Miss Greenwood.« Ralph nickt ihr anerkennend zu. Mit den Zeigefingern markierte er imaginäre Punkte auf dem Tischtuch aus weißem Damast. »Ein russisches Regiment, das am westlichen Ufer des Kaspischen Meeres stationiert ist, befindet sich dort in größerer Distanz zu St. Petersburg als zu Lahore im Punjab. Und die russischen Batallione an der Grenze zu Persien sind näher an Delhi als an ihrer heimatlichen Basis in der Hauptstadt.«
    »Noch trennen zum Glück eine Handvoll Pufferstaaten Indien vom Zarenreich«, fügte Jonathan hinzu, »aber in Westminster hat man das Gefühl, jeglicher Vormarsch Russlands sollte von nun an besser Anlass zu Misstrauen geben.«
    » The Great Game , das große Spiel«, murmelte Gerald, nahm einen Schluck Wein und drehte das Glas nachdenklich hin und her, als er es wieder abstellte. »An Indiens nordwestlichen Grenzen treffen die Interessen Russlands und Englands aufeinander. Russland hätte gerne einen eisfreien Hafen im Indischen Ozean. Und England ist der wichtigste Handelspartner des Osmanischen Reiches und will natürlich vor allem die Verbindungswege nach Indien kontrollieren. Früher konnte es uns gleich sein, ob in Konstantinopel über der Hagia Sophia der Halbmond flattert oder nicht, jetzt schon lange nicht mehr. Der Überlandweg nach Indien folgt den alten Karawanenrouten – über die Berge Kleinasiens und hinunter ins Tal des Euphrat. Auch der kürzeste aller Wege, per Schiff nach Alexandria, von dort die arabische Westküste hinunter bis zum englisch besetzten Hafen von Aden und dann in den Indischen Ozean – auch dieser Weg führt zum Teil über osmanische Gebiete. Wenn Russland sich diese Gebiete einverleibt, kann es ganz Europa komplett vom Osten abschneiden.«
    »Insofern war es ein kluger Schachzug, eine britische Flotte in den Bosporus zu entsenden«, philosophierte Ralph über seinem Wein.
    »Das hat den Zaren aber offensichtlich nicht beeindruckt – sonst hätte er wohl kaum Ende November mit seiner Schwarzmeerflotte im Hafen von Sinope die dort vor Anker liegenden türkischen Schiffe und einen Teil der Stadt in Brand geschossen«, erwiderte Maya hitzig. Und zuckte gleich darauf zusammen, als Angelinas Schuhspitze sie unsanft unterhalb des Knies traf.
    »Offensichtlich«, stimmte Ralph ihr zu. Ein feines Lächeln umspielte seine Mundwinkel, und er bedachte Maya mit einem langen Blick, der sie erröten und rasch den Kopf senken ließ. Hazel sammelte die leeren Teller ein, und sich zurücklehnend fuhr Ralph fort: »Mein Kommandant würde es zwar bedauern, verließe ich das Corps auf unbestimmte Zeit. Aber ich bin mit seiner Erlaubnis aufgebrochen, mich um die Versetzung in ein Frontregiment zu bewerben, sollte der Kriegsfall eintreten.«
    »Nun«, seufzte Gerald auf, »vielleicht muss es auch gar nicht so weit kommen. Nicht jeder Krieg verlangt notwendigerweise ein Eingreifen der Britischen Krone. Und, meine Herren, aus Rücksicht auf unsere Ladys hier am Tisch«, zärtlich strich er Martha, deren erst beunruhigte, dann ungehaltene Blicke er aus dem Augenwinkel heraus aufgefangen hatte, über die Finger, nickte dann jeweils Maya und Angelina zu, »setzen wir dieses Gespräch vielleicht später in meinem Arbeitszimmer oder dem Salon fort und wenden uns einstweilen angenehmeren Dingen zu. – Ah, Mandelpudding!«, rief er aus, als er sah, was Hazel zum Dessert servierte, und tätschelte beglückt die Hand seiner Frau. »Dass du daran gedacht hast, meine Liebe!«
    »Und Welsh Rarebits «, ergänzte Martha strahlend und deutete auf die mit einer Mischung aus geschmolzenem Käse, Milch und Bier überbackenen Toastecken. »Falls Sie lieber einen herzhaften Abschluss des Dinners bevorzugen, Mr. Garrett.«
    Ralph neigte leicht den Kopf in ihre Richtung. »Vielen Dank, Mrs. Greenwood. Ihr Dinner hat meinen Geschmack vollends getroffen.«
    Martha Greenwood winkte leichthin ab, aber es war deutlich zu sehen, wie groß ihre Freude über diese Bemerkung war. »Gäste wie Sie zu bewirten ist ein reines Vergnügen. Zu

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