Unter dem Safranmond
Ralphs hin rasch ein, als sie Jonathan die Schüssel mit dem Gemüse weiterreichte und nach einer der Saucièren langte, »dass für einen englischen Arzt die Kenntnisse tropischer Krankheiten wie Sumpf- oder Denguefieber – «
»Maya!«, zischte Martha neben ihr entsetzt. »Das ist ungehörig! Wir sind beim Essen!«
»… von keinem großen Nutzen sind«, ergänzte Jonathan in aller Seelenruhe, während er sorgfältig mit dem Schöpflöffel eine Pyramide der grünen Röschen auf seinem Teller errichtete. »Wohingegen ich wiederum Erfahrungswerte mit der Cholera durchaus auch für unsere Breitengrade als sehr sinnvoll erachte. Denken wir nur an die Epidemie hier in Oxford in den Vierzigern mit etwas über sechzig Todesfällen.« Er gab die Schüssel an Angelina weiter. Und nur wer sehr genau hinsah, konnte den verschwörerischen Blick entdecken, den Jonathan und Maya unter gesenkten Lidern austauschten, dabei scheinbar ganz auf ihre Teller konzentriert.
»Nun«, hüstelte Gerald Greenwood kurz hinter vorgehaltener Hand, ein verräterisches Zucken um die Mundwinkel, und legte seine Linke begütigend auf den Unterarm seiner Frau, »da die drei Jahre um sind, für die er sich verpflichtet hatte, hoffe ich doch, dass Jonathan sich jetzt eine entsprechende zivile Anstellung suchen wird. Mein älterer Bruder ist am hiesigen Hospital tätig und denkt daran, sich in den nächsten Jahren zur Ruhe zu setzen. Und einer meiner Cousins hat eine sehr rentable Praxis in London.«
»Noch ist meine offizielle Dienstzeit nicht ganz um, Vater. Erst nach Ende meines Urlaubs in vier Monaten. Aber da wir gerade auf dieses Thema zu sprechen kommen«, Jonathan legte das Messer auf dem Tellerrand ab und fuhr nachdenklich mit den Fingerspitzen über das geriffelte Muster seines Weinkelches, »ich möchte, ehrlich gesagt, erst die Entwicklung auf der Bühne der Weltpolitik abwarten. Sollte England tatsächlich Russland den Krieg erklären, würde ich mich gerne freiwillig melden. Ärzte sind in Kriegszeiten bei den Regimentern mehr als willkommen.«
Martha Greenwood ließ ihr Besteck sinken und sah ihren Stiefsohn kummervoll an. »Du bist doch gerade erst angekommen, Jonathan. Müssen wir das denn heute …« Hilfesuchend blickte sie zu ihrem Gatten, und auch Angelina und Maya wechselten einen langen, sichtlich beklommenen Blick.
Gerald Greenwood räusperte sich verhalten, als er sich mit der Serviette den Mund abtupfte. »Was man so liest und hört, scheint ein Kriegseintritt tatsächlich unvermeidlich.«
Die Lage im Osten war schon lange brisant gewesen. »Der kranke Mann am Bosporus«, wie man das Osmanische Reich der Türken vielfach nannte, war durch Aufstände innerhalb seiner Grenzen geschwächt. Zar Nikolaus I. von Russland sah darin seine Chance, seinen Machtbereich in Europa zu vergrößern, vor allem einen Zugang zu den strategisch wichtigen Punkten im Mittelmeer zu erlangen, aber auch zu den Meerengen des Bosporus und der Dardanellen. Früher schon hatte der russische Zar versucht, Österreich und England für eine Zerschlagung des Osmanischen Reiches zu gewinnen. England und Frankreich hatten sich jedoch gegen diesen Plan gesperrt. Weder wollten sie derartige Schlüsselpositionen in den gierigen Händen Russlands wissen – noch behagte ihnen der Gedanke an ein Machtvakuum mit enormem Kriegspotential, sollte das Osmanische Reich gänzlich zusammenbrechen.
Doch Zar Nikolaus gab keine Ruhe. Er schrieb sich die Befreiung orthodoxer slawischer Völker vom Joch der osmanischen Herrschaft auf die Fahnen. Entsandte einen Diplomaten an den Hof von Konstantinopel, der völlig überzogene Forderungen an den Sultan stellte. Vor allem die Frage, welche Nation Hüter der heiligen Stätten der Christenheit im osmanischen Jerusalem sein sollte, war strittig. Zar Nikolaus beanspruchte dies allein für Russland und dessen orthodoxe Kirche, womit sich das katholische Frankreich unter Kaiser Napoleon III. aber keineswegs einverstanden erklären wollte. Als der Sultan auf Nikolaus’ Ultimatum nicht einging, genügte dies Russland als Vorwand für ein militärisches Vorgehen. Im Juli war die russische Armee in die Donaufürstentümer von Moldau und der Walachei einmarschiert. Und nachdem mehrere diplomatische Vermittlungsversuche gescheitert waren, war dann im Oktober die offizielle Kriegserklärung des Osmanischen Reiches erfolgt. Nun herrschte ein Krieg auf dem Balkan, der sowohl Frankreich als auch England beunruhigte.
»Innerhalb
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