Unter dem Safranmond
schrägen Vogel.« Ralph grinste, ehe er unvermittelt ernst blickte und die Glut seines Zigarrenstummels eindringlich begutachtete, den Unterarm auf sein Knie gestützt.
»Ich mag vor allem deine Schwester sehr«, sagte er nach einer kleinen Pause leise. »Maya«, präzisierte er, als er Jonathans fragenden Blick auffing.
Dieser senkte das Glas wieder ab, aus dem er gerade einen Schluck hatte nehmen wollen, und machte ein überraschtes Gesicht. »Das ist ungewöhnlich. Üblicherweise ist es Angelina, die das Interesse der männlichen Gäste weckt. Ich wäre jede Wette eingegangen, dass ihr das auch bei dir gelingen würde.«
Ralph blies den Rauch mit einem leisen Lachen wieder aus. »Das hatte ich auch erwartet, nachdem du mir im Zug das Bild gezeigt hattest und ich sie in der Halle bei unserer Ankunft gesehen habe. Sie ist wirklich eine Schönheit, kein Zweifel. Aber Maya … Maya ist etwas Besonderes.« Er legte den Kopf an die Rückenlehne, streckte die Beine von sich und sah Jonathan an. »Könntest du es in deiner Eigenschaft als ihr älterer Bruder verantworten, mir dabei zu helfen, sie ein wenig näher kennenzulernen? Morgen, wenn wir vier unter uns sind?«
Jonathan sah ihn zuerst verblüfft, dann voller Entschlossenheit an. Er knallte sein Glas auf den Tisch und sprang auf, tat unter erregter Gestik ein paar Schritte. »Oh nein, Ralph, ganz gewiss nicht! Du hast mir von Evelyn, Charlotte, Dorothy und Sarah erzählt«, zählte er an seinen Fingern ab, »dann gab es noch diese … diese Harriet – «
»Henrietta«, korrigierte Ralph brummend und mit einer leichten Röte auf den Wangen, als er mit einer wütenden Geste dem Stumpen den Garaus machte.
»Von mir aus eben Henrietta!«
»Aber die zählt nicht«, versuchte Ralph sich hitzig zu verteidigen. »Schließlich hat sie mir den Laufpass gegeben und sich mit einem zwanzig Jahre älteren Major verlobt!«
»Schön«, spöttelte Jonathan, »streichen wir diese junge Dame eben gerechterweise von der Liste deiner jüngsten Eroberungen! Dann bleibt allerdings immer noch Miss Farnsworth zu erwähnen, mit der du auf dem Dampfer angebändelt hast – und gleichzeitig auch noch mit ihrer jüngeren Schwester!« Kopfschüttelnd schnappte er sich sein Glas und wies mit abgespreiztem Zeigefinger auf sein Gegenüber. »Bei aller Freundschaft – dir werde ich sicher keine Gelegenheit geben, einer meiner Schwestern unberechtigte Hoffnungen zu machen! Ganz besonders Maya nicht«, fügte er mit einem Knurren hinzu und leerte sein Glas in einem Zug.
»Bitte, Joe«, erwiderte Ralph mit Nachdruck. »Ich verspreche dir, dass ich keinerlei unehrenhafte Absichten hege.«
Jonathan stützte sich am Kaminsims ab und starrte in das langsam verlöschende Feuer. Zweifelnd sah er seinen Freund von der Seite her an. »Dir ist es wirklich ernst?«
Ralph ging kurz in sich. Er sah sich selbst an der Türschwelle eines Raumes stehen, hinter ihm das Geplänkel, die Flirts und kleine Affären. Und vor ihm … Maya, mit der sich nicht spielen ließ, das hatte er im Laufe des Abends rasch bemerkt. Zu seiner eigenen Überraschung bejahte er Jonathans Frage, weil es sein sehnlichster Wunsch war. Jonathan atmete tief durch und richtete sich auf. »Na gut. Aber falls du ihr das Herz brechen solltest, werde ich dir erst sämtliche Knochen im Leib eigenhändig zertrümmern und dann höchstpersönlich für deine Versetzung nach Timbuktu sorgen!«
Trotz der Prophezeiung ihrer Mutter, sie werde sich in dieser kalten Nacht dadurch den Tod holen, hatte Maya darauf bestanden, sich noch vor dem Schlafengehen das Öl aus den Haaren zu waschen. Danach hatte sie es dann feinsäuberlich auf Papierstreifen aufgedreht, in der Hoffnung, ihre Locken würden sich so am nächsten Tag als fügsamer erweisen. Konsequent hatte sie es vermieden, sich bei diesem Akt ungewohnter Eitelkeit selbst im Spiegel anzusehen. Lange hatte sie voller Vorfreude auf den nächsten Tag wach gelegen, und zum ersten Mal seit vielen Jahren hatten ihre letzten Gedanken vor dem Einschlafen nicht Captain Richard Francis Burton gegolten.
7
Über Nacht war das Thermometer weiter gefallen. Eisblumen gediehen außen an den Fensterscheiben, und der Schnee reflektierte abwechselnd blendend weiß und kristallin auffunkelnd die Wintersonne am blauen Himmel. Ein Tag, der einen unweigerlich nach draußen lockte, trotz der kalten Luft, die so steif und glatt war wie frisch gestärkte und gebügelte Leintücher und genauso rein roch. Und
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