Unter dem Safranmond
allem Respekt, Gerald«, Ralph beugte sich vor, griff nach seinem Glas und der Zigarre, die er auf dem Rand des Aschenbechers abgelegt hatte, um die Hände für seine Lektüre frei zu haben, ehe er sich in den Sessel zurückfallen ließ. »Das Risiko, sich im ungesunden Klima Bengalens ein Fieber zu holen, ist weitaus höher, als im Lazarett hinter der Frontlinie irgendwie zu Schaden zu kommen.«
Jonathan warf ihm einen dankbaren Blick zu und ergänzte trocken: »Mir wird nichts Schlimmeres zustoßen, als im Ernstfall mit äußerst beschränkten Hilfsmitteln Gliedmaßen amputieren, heraushängende Eingeweide zurückstopfen und von Kugeln durchsiebte Kameraden wieder zusammenflicken zu müssen.«
Gerald schmunzelte. »Du klingst wie dein Großvater. Ich glaube, er hat es zeitlebens bedauert, dass er nie als Arzt in den Krieg ziehen konnte. Erst war er zu jung, und später hatte er schon Familie. Er hätte dir ganz sicher zugeredet. Apropos Familie – was wird denn die Ihre dazu sagen, Ralph?« Er richtete seine Aufmerksamkeit auf den Freund seines Sohnes, der ihm auf Anhieb so sympathisch gewesen war, dass er ihm gleich nach dem Dinner angeboten hatte, einander beim Vornamen zu nennen.
Dieser zuckte gleichgültig mit einer Schulter. »Seit meinem achtzehnten Lebensjahr bin ich Soldat, in den letzten Jahren sogar bei den Guides im nordwestlichen Grenzland – wir sind immer für den Kriegsfall bereit. Dieser immer wahrscheinlicher werdende Krieg gegen Russland würde mir nicht meinen ersten Kampf bringen. Meine Familie wäre über alle Maßen enttäuscht, würde ich mich nicht melden. Und ich selbst hielte mich auch für einen erbärmlichen Feigling.«
Mit hochgezogenen Augenbrauen starrte Gerald auf den letzten Schluck Whisky in seinem Glas. »Das ist eine Art zu denken, die mir schon immer fremd war. Mich haben Kriege nur im Abstand von zwei, drei Jahrtausenden interessiert: Wie sich dadurch die Machtverhältnisse zwischen einzelnen Völkern verlagerten. Wie eine Zivilisation dadurch eine andere vereinnahmte, sich die Kulturen so überlagerten und vermischten. Und natürlich, was an Überresten eines solchen Krieges noch erhalten blieb und welche Rückschlüsse das auf eine Nation zulässt.«
»›Drei, drei, drei, bei Issos Keilerei‹«, warf Jonathan keck den alten Merkspruch ein, als er den Zigarrenrest ausdrückte, und sein Vater quittierte sein freches Grinsen mit scherzhaft drohendem Zeigefinger.
»So, für mich alten Herrn wird es Zeit.« Er stellte sein leeres Glas ab und löschte seinen Stumpen im Aschenbecher aus. Als er sich erhob, deutete er auf die verstöpselte Kristallflasche und die hölzerne Zigarrenkiste. »Ihr bedient euch nach Herzenslust, ja? Gute Nacht, schlaft euch morgen ruhig so richtig aus.« Jonathan und Ralph, die höflicherweise auch aufgestanden waren, wünschten ihm mit festem Händedruck ebenfalls eine gute Nacht, und nachdem sich die Tür hinter Gerald geschlossen hatte, schwiegen sie beide einen Augenblick lang.
Jonathan lehnte sich gemütlich im Sessel zurück, die Beine übereinandergeschlagen, den schon etwas schweren Kopf auf die Handfläche gestützt, nachdem ihm im ersten Anlauf der Ellenbogen wieder von der Armlehne gerutscht war. Er hob sein Glas wie zum Gruß in die Luft. »Jetzt hast du uns alle zusammen leibhaftig erlebt.« Erwartungsvoll sah er seinen Freund an.
Ralph nickte bedächtig, als er seine Blicke durch den Salon schweifen ließ. Als müsste er zuerst die schweren, zugezogenen Portieren, die Möbel aus rötlich schimmerndem Holz und die Landschaften in Öl an den blau tapezierten Wänden mit den Bewohnern des Hauses in Einklang bringen. »Ich mag deine Familie. Sie ist so ganz anders als die meine. Bei uns geht es viel kühler zu, viel distanzierter. Solche offenen Gespräche bei Tisch, solche Neckereien, wenn Gäste – und seien es auch Freunde des Hauses – anwesend sind … Das wäre bei uns undenkbar.« Er nahm einen Schluck und zwinkerte Jonathan leichthin zu, als er sich wieder setzte. »Insofern wäre ich froh, bald wieder bei einem Regiment zu sein.«
Jonathans blank polierter schwarzer Schuh wippte auf und ab. »Ja, bei uns ist alles ein wenig anders. Aber für Oxford noch ganz im Rahmen. Die Professorenhaushalte mit Frauen und Kindern sind immer konventioneller als die der Junggesellen. Wenn ich daran denke, was ich in diesem Städtchen im Laufe der Jahre so gesehen und erlebt habe. Im Lehrkörper der Colleges gibt es doch so manch
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