Unter dem Safranmond
Hauptstadt Britisch-Indiens, die sich entlang der Ufer des Hooghly erstreckte. Sie schlenderte durch den englischen Teil: neugotisch, viktorianisch; bei Tag wie aus weißer Brautspitze und grünsamtenen Bordüren, nach Sonnenuntergang glitzernd wie London oder Paris. Sie roch die Gewürze auf dem Basar der »Schwarzen Stadt«, des indischen Teils – süße und scharfe Aromen, nach Zimt und Ingwer, Kurkuma und Safran. Die Düfte der Garküchen, nach siedendem Öl, nach Gemüsecurrys und frisch gebackenen Brotfladen. Gehämmertes Silber und Gold funkelte ihr entgegen, und sie war geblendet von den Farben der Saris der Frauen, den Schattierungen der zum Verkauf ausgebreiteten Stoffe: mohnrot, azurblau, krokus- und zitronengelb, violett, orange, apfel- und olivengrün.
Jonathan erzählte von der Schönheit der »Nauj«-Mädchen und ihrem anmutigen Tanz, der Armreifen, Fußketten und an den Säumen befestigte Glöckchen erklingen ließ (und verschwieg dabei taktvoll, für welche Kunstfertigkeiten diese Mädchen sonst noch gerühmt wurden; im Gegenzug ließ Maya ebenfalls nichts darüber verlauten, was sie aus Richards Briefen darüber wusste). Er berichtete von den Kühen, die magerer und langbeiniger als ihre europäischen Verwandten waren und sich durch die Menschenmengen der »Schwarzen Stadt« schoben, ihre dunklen, kantigen Gesichter zu einer blasierten Miene verzogen, als wüssten sie, dass sie den Hindus heilig waren und niemand ihnen auch nur ein Haar ihres grau-weißen oder braunmelierten Felles zu krümmen wagte. Auch von Hindupriestern war die Rede, die an den ghats , den Steinstufen hinunter zum Fluss des Hooghly, Räucherwerk entzündeten und in einem eigenartigen Singsang den Segen der Götter erflehten.
Und während Maya an dem runden Tisch auf ihrem schwarzlackierten, rotgepolsterten Stuhl saß, unter der ausladenden Pendelleuchte mit den Glasschalen, zwischen der Säule mit aufgemalter Marmorierung und dem auf halber Höhe tüllverhängten Bogenfenster mit der rotseiden bebänderten Tannengirlande, das von innen beschlug, glaubte sie das Rauschen des Monsuns zu hören: sein Trommeln und Prasseln auf Dächer und Zeltbahnen und dazu den warmen und holzigen Duft von Sandelholz, mit einer unerwartet zitronigen Note und dem betäubenden Duft von Jasminblüten. Mayas Herz wurde weit vor Verlangen, einer Verheißung von Glück, die köstlich schmeckte auf der Zunge und doch bitter.
Weil es nicht mehr war als das.
8
»Anfangs war ich in Bengalen stationiert, fast ein Jahr lang«, erzählte Ralph, an den Kamin des Salons gelehnt. »Aber als sich die Auseinandersetzung mit den Sikhs im Punjab andeutete, rückte mein Regiment unter Governor-General Hardinge in den Norden aus, und nach dem Krieg blieb ich dort, in Lahore, unter Sir Henry Lawrence.«
Durchgefroren von ihrem Ausflug waren die vier nach Black Hall zurückgekehrt, wo in der Halle der Länge nach die mächtige Tanne gelegen hatte, die dort aufgestellt und geschmückt werden würde, nebst einzelnen Tannenreisern, Stechpalmenzweigen, Efeuranken und den geöffneten Kisten und Schachteln, in denen zwischen Holzwolle der alljährliche Weihnachtsschmuck hervorglitzerte. Mrs. Greenwood war es sichtlich unangenehm gewesen, dass ihr Gast Zeuge dieser vorweihnachtlichen Unordnung wurde. Aber der Liefertermin für den Weihnachtsbaum, eine neue Mode, die Prinzgemahl Albert aus seiner deutschen Heimat mitgebracht hatte, war schon lange ausgemacht gewesen. Und obendrein hatte Martha Greenwood wie jedes Jahr für die Festtage einen ausgeklügelten Zeitplan entworfen, von dem sie nur ungern abweichen wollte. Daher hatte sie die jungen Leute in den Salon gescheucht, mit der Auflage, dort zu verbleiben, bis man in der Halle fertig wäre, und hatte sie von Hazel mit Tee und reichlich Gebäck versorgen lassen.
»War das der sogenannte erste Sikh-Krieg?« Maya saß auf der gepolsterten Fußbank, sich den Rücken am Feuer und die Hände an ihrer Tasse wärmend. Ralph nickte. »Genau der. Acht Jahre ist das jetzt her.«
»Worum ging es eigentlich in diesem Krieg?« Maya hielt ihre kalten Wangen in den Dampf des heißen Tees.
»Nach dem Tod des letzten Sikh-Herrschers Maharaja Ranjit Singh entbrannte im damals noch unabhängigen Punjab ein Streit um die Thronfolge. Die Lage war instabil, die von amerikanischen und europäischen Söldnern hervorragend ausgebildete Armee ohne Führung und sich selbst überlassen. Unseren Kommandostab machte das nervös, und die
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